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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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Silberleuchter mit dem Wappen der Fernández de Santillán zu finden, die vor zwei Wochen gestorben waren, oder die bestickte Tischwäsche mit den Initialen der Tellos, deren Haus geplündert wurde, während die Bewohner in ihren Betten mit dem Tode rangen. Abel war erschüttert von diesen Geschichten. Er zog es vor, mit Frau und Tochter auf dem Land in
Las Jácaras
zu bleiben, bis alles vorbei war.
    Über vier Monate mussten sie auf die langersehnte Nachricht warten, dass die Gelbfieberepidemie ausgestanden sei. Als sie nach Sevilla zurückkamen, war Weihnachten. Nachdem sie die Haustür geöffnet hatten, überfiel Rosario und Guiomar eine tiefe Trauer. Nicht nur, dass Julia nicht mehr da war, ihr Zuhause erinnerte zudem schmerzlich an ein Geisterschiff, das steuerlos durch den Nebel trieb. Sie erkannten diesen Ort fast nicht wieder, der früher von bunten Farben, Besuchern, schwatzenden Dienstmädchen, geistreichen Überlegungen berühmter Gelehrter, Vogelgezwitscher und dem Geruch von Schokolade erfüllt gewesen war, und der nun düster und verfallen wirkte.
    Die Geranien in den Töpfen im Patio waren verwelkt. Ihre braunen Blätter verstopften den Abfluss des Brunnens, aus dem kein Wasser mehr kam. Nur einige rostige Rinnsale rannen wie blutige Tränen zu Boden, vorbei an Vogelkot und verirrten Schnecken. Durch die Fensterscheiben in den Wohnräumen sickerte trübe das graue Winterlicht, passend zur Stimmung der Stadtbewohner. Die Küche, durch die früher Düfte gezogen waren, die einem das Wasser im Munde hatten zusammenlaufen lassen, war nun von einer dicken Ruß- und Fettschicht überzogen, die man nur schwer wieder abbekommen würde.
    Die Familie ging durchs Haus und hing dabei wehmütigen Erinnerungen nach. Ihre Schritte hallten in den kahlen Fluren und auf der Treppe wider. Mit den aufgestapelten Möbeln, deren staubige Schutzbezüge an kraftlose Gespenster erinnerten, wirkte der Patio vom oberen Stockwerk aus wie ein Trödelladen. An den Decken waren feuchte Flecken, und an einigen Fenstern hatten sich die Läden gelockert. Doch zu Abels Glück hatte sich Rosario ein Beispiel an Doña Julias unbeugsamem Wesen genommen und war nicht willens, in Trauer zu verfallen.
    »Das muss sofort angepackt werden«, sagte sie entschlossen.
    Sie besorgte zwei kräftige Männer, die ihnen helfen sollten, die Möbel an Ort und Stelle zu schaffen. Sie kaufte Blumen und Ziervögel und schaffte es, den Brunnen mit den dicken Engeln wieder in Gang zu setzen. Zwei Tage später plätscherte das Wasser wieder, und die Vögel sangen dazu. Sie stellte neue Mädchen für den Haushalt ein, auch wenn sie davon ausging, dass sie genauso ungeschickt sein würden wie die vorherigen und sie ständig hinter ihnen her sein musste, damit sie nicht faulenzten. Aber das machte ihr nichts aus, weil sie es schon kannte und darauf vorbereitet war. Dann ging sie zum Marquis de Gandul und schlug ihm vor, die Veranstaltung der literarischen Zirkel wiederaufzunehmen, denn sie war überzeugt, dass mit dem kulturellen Leben wieder Normalität in die Druckerei einziehen würde.
    Als Abel sah, wie gefasst seine Frau die Dinge anging, ließ er sich ebenfalls von der Aufbruchstimmung anstecken. Er erwarb die modernsten Maschinen für die Druckerei und suchte Männer, die sie bedienen konnten. Die früheren Angestellten hielt er für undankbare Verräter, weil sie seine Mutter im Stich gelassen hatten, als diese sie am nötigsten brauchte – nach allem, was sie ein Leben lang für sie und ihre Familien getan hatte. Der Einzige, den er behalten wollte, war Cristo. Sie waren nie besonders gut miteinander ausgekommen, aber er fand, dass er ihm einen Gefallen schuldete: Sein Vater war es gewesen, der bei Julia ausgeharrt hatte, als sie krank wurde, und diese Treue hatte er mit seinem Leben bezahlt. Abel fühlte sich in seiner Schuld, und außerdem hielt er es für klug, jemanden zu haben, der schon in guten Zeiten für die Druckerei gearbeitet hatte.
    Also machte er sich auf den Weg zu ihm. Er wusste, dass er ihn beim Kartenspiel im Punta del Diamante finden würde. Als er vor ihm stand, erschrak er jedoch. Es war erst einige Monate her, seit er Cristo das letzte Mal gesehen hatte, aber seinem zerlumpten Äußeren nach schienen Jahre vergangen zu sein. Er saß allein im hinteren Teil der Schänke, ein leeres Glas in den Händen, und starrte ins Leere. Sein Gesicht war wächsern und faltig, sein Haar struppig und von grauen Strähnen durchzogen. Als Abel nah

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