Der Turm der Könige
Bände in Mitleidenschaft gezogen. Bei einigen fehlen Seiten, bei anderen ist der Einband zerfressen … Ich weiß nicht, ob das Buch, nach dem ihr sucht, unbeschädigt geblieben ist.«
»Wir werden sehen«, sagte Abel und dachte an ihre Arbeit in der Kapitelbibliothek zurück.
»Es war ein Glücksfall und ein Segen«, fuhr Bruder Isidoro fort, »dass 1725 Pater Ventura aus San José zu uns kam. Er brauchte ein Vierteljahrhundert, um sämtliche Bände zu ordnen, zu sortieren und zu katalogisieren. Die neue Bestandsliste enthält viertausendfünfhundert Bände.«
Mit diesen Erklärungen führte Bruder Isidoro sie zu dem Bücherschrank, in dem sich der Kodex der
Siete Partidas
befand. Er schob eine Leiter heran, nahm das Buch vorsichtig heraus und reichte es Bruder Dámaso.
»Ich lasse euch damit allein«, sagte er.
Sie warteten, bis er durch eine Tür im Hintergrund verschwunden war, bevor sie das Buch aufschlugen. Auf der ersten Seite befand sich die Vignette in Form eines Baumes, dessen Äste die Initialen L und H trugen. Es gab keinen Zweifel, dass es sich um ein Buch aus der Druckerei López de Haro handelte, doch in diesem Exemplar befand sich keine Widmung, wie sie sie in Sevilla gefunden hatten.
»
Mon dieu
! Diese Ungewissheit! Ich halte das nicht länger aus«, sagte Monsieur Verdoux in die Stille hinein. »Widmen wir uns gleich dem letzten Teil und hören auf, jede einzelne Seite zu untersuchen.«
Bruder Dámaso lächelte angespannt und nahm ihn beim Wort. Mit zitternden Fingern schlug er das Buch von hinten auf. Und dort, auf der letzten Seite, befanden sich deutlich lesbar die Liste der gespielten Partien sowie die Namen beider Könige.
1248 Kd2++
1262 Sa4++
1270 Txf1++
1271 e2
Christen: 2 Muslime: 2
Bruder Dámaso nahm das Buch an sich und begann, auf und ab zu gehen, während er einige Seiten zurückblätterte. Monsieur Verdoux und Abel sahen ihm gespannt zu. Plötzlich hielt der Mönch inne und sah sie mit Tränen in den Augen an.
»Wir haben sie!«, rief er. »Zumindest können wir den Marokkanern jetzt beweisen, dass dies hier die echte Liste ist und die andere nur eine plumpe Fälschung …«
Monsieur Verdoux sah ihn zweifelnd an. »Glaubt Ihr wirklich? Versteht mich nicht falsch«, setzte er rasch hinzu, als er das verstimmte Gesicht seines Freundes sah. »Ich bin auch froh, dieses Schriftstück zu sehen, aber …«
»Ich weiß schon, was Sie sagen wollen«, erwiderte Bruder Dámaso, dessen Stimme nun nicht mehr so euphorisch klang wie gerade eben noch. »Es ist nur eine Kopie, die Don Manuel López de Haro vom Originaldokument angefertigt hat. Sie beweist lediglich, dass wir auf dem richtigen Weg sind …«
»Ja«, schloss Abel. »Zumindest haben wir etwas, das wir unseren muslimischen Widersachern vorlegen können …«
Bruder Dámaso seufzte. Für einen Moment hatte er geglaubt, am Ende der Suche angelangt zu sein. Aber seine Gefährten hatten recht.
»Ich werde auf jeden Fall den König über unseren Fund informieren«, setzte er unbeirrt hinzu.
Die beiden anderen nickten. Sie waren einen Schritt vorangekommen, aber es lag noch ein weiter Weg vor ihnen.
17 Das Gelbfieber
Wie die Bauern im Schach, so zieht der Mann von Feld zu Feld, ohne der Dame je habhaft zu werden.
FRANCISCO DE QUEVEDO
I n diesem Sommer beschloss Julia, erst später nach
Las Jácaras
zu fahren. Bei den literarischen Zirkeln in der Druckerei war die Idee aufgekommen, die erste Literaturzeitschrift der Stadt herauszubringen, die den Namen
Sevillaner Bote für Literatur und Oeconomie
tragen sollte. Jeden Tag fanden sich Männer wie Alberto Lista, José María Blanco-White oder Manuel María de Mármol mit neuen Ideen im Haus ein. Julia schlug vor, dass Abel mit Rosario und Guiomar aufs Land vorausfuhr. Wie verhängnisvoll diese Entscheidung für sie sein sollte, konnte sie nicht wissen.
Das Gelbfieber kam mit einem Schiff aus Kuba und begann, sich in Triana auszubreiten. Die Ärzte wurden von der Epidemie überrascht, handelte es sich doch um eine Krankheit, die aus Amazonien und den Tropen kam, während man in Europa vor allem mit der Pest zu tun hatte. Nach knapp vier Monaten hatte die Krankheit ganz Sevilla erfasst. Die einzigen Vorsichtsmaßnahmen bestanden darin, die Erkrankten abzusondern und das Theater zu schließen. Da jedoch die vielen Messen, Rosenkranzgebete und Prozessionen, mit denen göttlicher Beistand erfleht werden sollte, nicht halfen, die Ausbreitung der Epidemie zu
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