Der Turm der Könige
während er ihr Wein einschenkte. Sie sprach weiter.
»Ich habe es Ihnen nie gesagt, aber ich bin Ihnen sehr dankbar dafür.« Sie seufzte. »Zweimal verwitwet … Beim ersten Mal war es mir kaum bewusst, aber beim zweiten Mal … Mein Gott! Es hat so wehgetan … Wissen Sie was, Cristóbal? Als León starb, tat mir das Herz so weh, dass ich dachte, ich könnte nicht weiterleben. Ich hatte keine Lust, aufzustehen, wollte niemanden sehen. Ich wollte nur bei meinem Mann sein. Aber dank Menschen wie Mamita Lula und Ihnen habe ich durchgehalten. Danke«, sagte sie noch einmal, bevor sie erneut an ihrem Wein nippte.
Cristóbal schwieg weiter.
»Ich weiß, dass die Leute hinter meinem Rücken getuschelt haben«, sprach Julia weiter. Sie hielt sich das Glas an die Stirn. Die Kühle tat ihr gut. »Eine Apothekertochter, die einen wohlhabenden Drucker heiratet, Witwe wird und dann einen Piraten zum Mann nimmt. Nannte man León nicht so?« Sie wartete keine Antwort ab. »Ich habe immer unter Beobachtung gestanden, weil ich getan habe, was sich sonst keiner traute. Aber Sie haben mich nie verurteilt, waren mir stets treu ergeben. Heute denke ich, dass ich sehr egoistisch war, weil ich Sie nie gefragt habe, wie es Ihnen ging, ob Sie glücklich waren … Waren Sie glücklich, Cristóbal?«
»Lassen Sie es gut sein. Bitte«, flüsterte er.
»Erzählen Sie mir von Ihrem Leben. Haben Sie Ihre Frau sehr vermisst, als sie starb?«
»Bitte, seien Sie still!« Cristóbal stand auf, um zu gehen, aber als er an Julia vorbei wollte, hielt sie ihn am Arm fest.
»Was haben Sie? Sie haben Ihr Leben lang auf mich achtgegeben, dafür gesorgt, dass ich nicht strauchele, haben sich in meinen Schatten verwandelt … Und jetzt, da ich Ihnen die Hand reiche, wollen Sie sie nicht annehmen? Man könnte meinen, Sie wollten vor mir fliehen.«
Tränen rannen unmerklich über Cristóbals Wangen. Er machte sich von ihr los, um in sein Zimmer zu gehen, wo er weinte wie ein kleines Kind.
***
ZWEI TAGE SPÄTER KONNTE Julia nicht mehr aufstehen. Als die Dienstmädchen und die Angestellten in der Druckerei mitbekamen, dass Julia krank war, verließen sie das Haus wie die Ratten das sinkende Schiff. Nur Cristóbal blieb da, um sie zu pflegen. Er saß neben dem Bett, das er so gerne mit ihr geteilt hätte, machte ihr feuchte Umschläge und hielt ihren Kopf, wenn sie sich übergab. Er kochte Hühnersuppe und bewachte ihren Schlaf. So ging das mehrere Tage, bis er sah, wie ihre Haut gelb wurde. Ihr Haar war schweißnass, die Augen lagen tief in den Höhlen, und ihre Lippen waren trocken und schrundig. Da wusste er, dass ihre letzten Momente auf Erden gekommen waren, und setzte sich zu ihr, um ihr auch in diesem schweren Augenblick beizustehen.
»Ich habe meine Frau nie vermisst, weil ich sie nie geliebt habe«, sagte er plötzlich. Es war die letzte Gelegenheit, sein Herz zu öffnen. Julia schlug mühsam die Augen auf. »Ich habe Ihre Dankbarkeit nicht verdient. Alles, was ich getan habe, tat ich aus Eigennutz, um in Ihrer Nähe zu sein. Wenn ich Ihren Körper nicht besitzen konnte, wollte ich zumindest einen Platz in Ihrem Herzen haben. Verstehen Sie nicht? Ich liebe Sie … Ich habe Sie immer geliebt, und ich werde Sie immer lieben.« Er verbarg das Gesicht in seinen Händen und atmete erstickt. Da wurde Julia klar, dass er weinte.
»Oh, Cristóbal … Es tut mir so leid«, flüsterte sie gerührt. Unter großer Anstrengung hob sie den Arm und strich über sein schütter gewordenes Haar.
Er spürte ihre zarten Hände auf seinem Kopf. Diese wunderschönen Hände, die er so sehr begehrt hatte, diese Hände, die er manchmal bei der täglichen Arbeit streifte, ohne dass sie es zu bemerken schien. Er konnte nicht anders, als ihr Handgelenk zu ergreifen. Er führte die Hand der Frau, die er ein Leben lang geliebt hatte, zum Mund und küsste verzweifelt ihre Innenfläche.
»Ich liebe Sie, ich liebe Sie«, murmelte er, während er sie immer weiter küsste. »Ich habe Sie immer geliebt, seit dem Tag, an dem Don Diego López de Haro mit Ihnen in die Druckerei kam, um Sie als seine neue Gemahlin vorzustellen. Deshalb habe ich es getan. Als Don Diego starb, dachte ich, ich könnte Ihr Herz erobern … Doch dann ist er aufgetaucht. Er!« Cristóbal schluchzte. »Ach Gott! Ich hätte nie gedacht, dass Sie ihn erhören würden. Ich war es doch, der immer an Ihrer Seite war, der Ihnen beistand, dem Sie Ihr Leben und Ihr Geschäft anvertrauen konnten. Warum
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