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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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sahen und über die Landschaft sprachen, das Leben in den Höhlen, die Druckerei und die unglücklichen Damen in Monsieur Verdoux’ Romanen. Guiomar brachte ihm das Schachspielen bei, und Ventura verstand nicht, wie er all diese Zeit seine Männer befehligen konnte, ohne die Regeln dieser Miniaturschlacht zu kennen.
    Es gefiel ihm, dass die Figuren nur als Gesamtheit Wert besaßen und jede von ihnen eine wichtige Aufgabe im Spiel hatte. Eine wunderbare Umsetzung des Gedankens der Gleichheit, wie er fand. Er wurde nicht müde, von Guiomar zu hören, wie wichtig die Entscheidung für eine spanische, englische oder sizilianische Eröffnung war, und von Gambits, Rochaden und tapferen Bauern zu erfahren, die bis zur achten Reihe vorrückten, um dann zu Damen zu werden. Er begriff, dass sich die Situation auf dem Spielbrett auf das wirkliche Leben übertragen ließ, und lernte, wie wichtig es war, vorausschauend und umsichtig zu handeln, auf sich selbst zu vertrauen, auf die richtige Gelegenheit zu warten und sein Gegenüber zu beobachten.
    Schon bald gerieten ihre Gefühle mehr und mehr in Aufruhr. Guiomar tat das Herz weh, ohne dass sie wusste, woher dieses Ziehen kam. Ihr Magen war ein einziger Klumpen. Nur wenn sie bei ihrem Geliebten war, fand sie Ruhe. Es genügte ihr nicht länger, die Nachmittage mit ihm zu verbringen. So begann sie, sich mitten in der Nacht aus dem Haus zu stehlen.
    Sie hatte sich einen genau durchdachten Ablauf zurechtgelegt. Nach dem Abendessen ging sie zeitig zu Bett und wartete geduldig, bis ihre Eltern, Candela und Monsieur Verdoux ihre Unterhaltung auf der Veranda beendet hatten. Wenn sie im Bett lagen und alles dunkel und still war, kletterte sie aus ihrem Schlafzimmerfenster, das auf der Rückseite des Hauses lag. Ventura erwartete sie bei der römischen Brücke auf seinem Pferd. Er packte sie am Arm und hob sie in den Sattel, dann ritten sie gemeinsam zu den Höhlen.
    Dort saßen sie mit den übrigen Männern am Lagerfeuer und sprachen über Hinterhalte für die Franzosen und befleckte Ehre. Manchmal fiel Guiomar auf, dass die Männer sie misstrauisch von der Seite ansahen. Sie sagten nichts, aber sie ahnte, dass ihre Anwesenheit eine Gefahr für sie bedeutete, auch wenn sie es nie wagten, es offen auszusprechen.
    In einer Vollmondnacht zeigte Ventura ihr die übrigen Höhlen. In einigen fanden sich uralte Zeichnungen an den Wänden, andere erinnerten an riesige Ballsäle, die zweihundert Personen hätten fassen können. Schließlich kamen sie zu einer, deren Eingang sich hinter einem gewaltigen Feigenbaum verbarg. Man musste nach unten steigen, aber dort herrschte eine sehr angenehme Temperatur, ohne die schwüle Hitze dieser Augustnacht. Ventura breitete seinen Umhang auf dem Boden aus und nahm Guiomar bei der Hand, damit sie sich hinsetzte. Dann entzündete er eine Öllampe.
    Guiomar hatte sich so sehr gewünscht, in dieser Nacht mit ihm alleine zu sein, dass sie Angst hatte, er könne es ihr an den Augen ansehen. Sie bemerkte die flackernden Schatten, die die Flamme auf das dunkle Gesicht ihres Geliebten zeichnete, und es verschlug ihr beinahe den Atem. Er ließ sich auf die Decke sinken, und das offene weiße Hemd entblößte seinen Oberkörper. Guiomar blieb reglos sitzen und blickte nach draußen. Durch die Blätter des Feigenbaums konnte sie den Sternenhimmel sehen. Sie streckte die Hand aus und fuhr mit dem Zeigefinger Venturas Nase entlang, dann über die Lippen bis hinunter zur Linie seines Kinns.
    »Macht es dir keine Angst, mit mir allein zu sein?«, fragte er.
    »Nicht mehr.«
    Sie öffnete die Hand und legte sie auf seine nackte Brust. Ventura stöhnte und hielt sie dann am Handgelenk fest.
    »Ich glaube, du solltest nicht weitermachen. Du hast keine Ahnung, was das in mir auslöst.« Seine Stimme war nur noch ein Flüstern.
    »Verzeih.«
    »Ich müsste mich entschuldigen«, widersprach er. »Erst bringe ich dich hierher, und dann weise ich dich zurück. Mir ist bewusst, dass ich dich nicht verdient habe, und trotzdem komme ich immer wieder.« Er setzte sich auf, schlang die Arme um seine Knie und stützte das Kinn darauf. »Aber ich kann nicht anders, Guiomar. Ich kann nicht leben ohne dich, ohne dein Lächeln, dein lockiges Haar … Ohne das hat alles keinen Sinn mehr.«
    Guiomar beugte sich zu ihm und nahm sein Gesicht in ihre Hände. Er schloss die Augen, als sie mit den Zeigefingern über seine Lider streichelte und mit den Daumen über seine Lippen. Sie spürte

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