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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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rezitierte: »Guiomar, nach Salz schmeckt deine Stimme und nach Gischt dein Haar. Den Mond schuf ich, und das Meer, Guiomar.«
    Dann wandte er noch einmal den Kopf und lächelte sie an.
    ***
    DER RÄUBER, DER SIE AN DEN Fels gefesselt hatte, brachte ihr einen Strohsack und band sie so weit los, dass sie sich hinlegen konnte. Sie verbrachte dennoch eine schlaflose Nacht. In der Ferne zeichnete sich die Silhouette von Carmona in der sternklaren Dunkelheit ab. Bevor die Morgenröte am Horizont erschien, hörte sie, wie jemand zu ihr kam.
    »Pscht! Geben Sie keinen Ton von sich.« Jetzt erkannte sie die tiefe Stimme des Marquis. »Ich binde Sie los.«
    Er löste die Knoten der Stricke, mit denen sie gefesselt war, und half ihr auf. Leise schlichen sie zu dem Platz, wo die Pferde standen. Der Marquis sattelte eines davon und hob sie auf die Kruppe. Dann stieg er auf. Sie ritten eine ganze Weile, bis Guiomar das Schweigen brach.
    »Weshalb haben Sie mich freigelassen?«
    »Es erschien mir unhöflich, ein so vornehmes Fräulein auf diese Weise zu beherbergen – an einen Fels gefesselt. Was sollen Sie über unsere Gastfreundschaft denken?«
    »Bekommen Sie keinen Ärger mit Ihren ›Freunden‹, wenn die merken, dass Sie mich befreit haben?«
    »Sie scheinen keine große Lust zu haben, wieder zurück zu Ihrer Familie zu kommen«, antwortete der Bandit. »Ich werde ihnen sagen, dass ich früh aufgewacht bin, gesehen habe, dass Ihnen die Flucht gelungen ist, und losgeritten bin, um Sie zu suchen.«
    »Sie werden Ihnen nicht glauben.«
    »Sie werden das glauben, von dem ich ihnen sage, dass sie es glauben sollen«, erklärte er.
    Sie schwiegen erneut.
    »Ich werde es Ihnen vergelten«, sagte sie plötzlich.
    Er zügelte das Pferd und drehte sich um, um sie anzusehen.
    »Meinen Sie das ernst?«
    »Selbstverständlich«, versicherte Guiomar. »Wenn wir da sind, wird meine Familie Ihnen …«
    »Was ich mir von Ihnen erhoffe, kann mir Ihre Familie nicht geben«, unterbrach er sie leise. Zum ersten Mal sah das Mädchen ihn ernst werden.
    Guiomar reagierte nicht gleich. Als sie es schließlich tat, erhob sie empört die Hand, um ihm eine Ohrfeige zu geben, die er in der Luft abwehrte.
    »Lassen Sie mich absteigen!«, verlangte Guiomar. »Ich weiß nicht, mit welchen Damen Sie sonst zu tun haben. Ich gehöre jedenfalls nicht dazu, das versichere ich Ihnen. Sie sind ein verabscheuenswürdiger, skrupelloser, schamloser, rücksichtsloser, unerzogener …«
    »Noch was?«, fragte er, nun wieder mit einem Grinsen.
    »Lassen Sie mich runter! Ich gehe zu Fuß nach Hause.«
    »Seien Sie nicht so aufmüpfig«, entgegnete er ungehalten. »Sie wissen doch gar nicht, in welche Richtung Sie gehen müssen. Am Ende werden Sie noch von einem Wolf gefressen.«
    »Hier gibt es keine Wölfe.«
    »Sind Sie sicher?«
    Sie ritten weiter, ohne ein einziges Wort zu wechseln, bis Guiomar die vertraute steinerne Silhouette der römischen Brücke vor sich sah. Sie musste sie nur noch überqueren, dann war sie ganz in der Nähe von
Las Jácaras
. Ganz in der Nähe von zu Hause.
    »Ich setze Sie hier ab«, sagte er und fasste sie am Arm, während sie vom Pferd stieg.
    »Wollen Sie vielleicht noch mit reinkommen?«
    Noch während sie das sagte, merkte Guiomar, wie absurd ihr Angebot war. Dieser Mann war ein Bandit, der Anführer der Bande, die sie entführt hatte. Er sah sie an und lächelte traurig.
    »Ich befürchte, ich werde Ihre Einladung ablehnen müssen«, sagte er dann bedauernd.
    Sie stand reglos neben dem Pferd und blickte zu ihm auf. Im Morgenlicht glänzte die Haut des jungen Mannes wie aus Metall, und seine schwarzen Augen funkelten wie zwei Sterne. Für einen nicht enden wollenden Moment sahen sie sich an, und die Welt schien stillzustehen. Dann krähte in der Ferne ein Hahn und brachte sie in die Wirklichkeit zurück. Ventura lenkte das Pferd herum.
    »Ich finde Sie sehr amüsant«, hörte Guiomar ihn sagen, bevor er davonritt und am Horizont verschwand.
    ***
    GUIOMARS ENTFÜHRUNG MARKIERTE für die Familie den Beginn dessen, was später als der Spanische Unabhängigkeitskrieg bekannt werden sollte. In jenem Sommer intrigierte der Sohn des Königs, Ferdinand, gegen seine Eltern. Er wurde angestachelt von seinem Lehrer und einer ganzen Anzahl von Adligen, die seit Jahren versuchten, Manuel Godoy auszuschalten, den ersten Staatsminister Karls  IV . und dem allgemeinen Vernehmen nach Liebhaber der Königin.
    Als der König davon erfuhr, wollte er

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