Der Turm der Könige
seinen Sohn mit aller Härte bestrafen. Doch dann entschied er sich anders und versprach, Milde walten zu lassen, wenn dieser im Gegenzug die Namen seiner Verbündeten verriet und seine Mutter um Vergebung bat. Aber das war nur der Anfang des Niedergangs.
Das Gerichtsverfahren, das die Verschwörer verurteilen sollte, endete mit einem Freispruch, weil auch die Richter der Meinung waren, man solle die Abdankung Karls IV . erzwingen. Das Volk war verunsichert. Der Hunger wurde zum Dauerzustand für jene, die nicht der privilegierten Klasse angehörten. Kranke, zerlumpte, von Mücken zerstochene Greise und Kinder, durchgefroren im Winter und halbtot vor Hitze im Sommer, schufteten von morgens bis abends auf den Feldern, um abends ihre hungrigen Bäuche notdürftig mit einer Steckrübensuppe zu füllen. Die Frauen standen im Morgengrauen auf, um auf dem Feld zu arbeiten, ihre kleinen Kinder auf dem Rücken. Hin und wieder hörte eine auf, Kartoffeln zu sammeln, hockte sich unter einen Olivenbaum und gebar dort ein Kind. Wenn sie wieder aufstand, kehrte sie an die Arbeit zurück, denn das Wochenbett war ein Privileg der reichen Damen.
In den abgelegenen Gegenden der andalusischen Hochebenen begannen sich Männer zu sammeln, die sich gezwungen sahen, Wegelagerer zu werden, um dem Elend zu entkommen, in das sie die soziale Ungleichheit gestürzt hatte. Sie mussten sich in Wäldern, im Dickicht und in Höhlen verstecken, wo sie den Schutz der Nacht abwarteten, um nach Hause zu gehen und ihren Müttern ein bisschen Geld zu bringen, damit sie die Familie durchbringen konnten. In den Groschenromanen hießen sie Geächtete, Banditen, Schmuggler, Strauchritter, Vogelfreie, aber ihre Taten waren stets von einem Hauch Abenteuer umweht. Es gefiel den Leuten, davon zu träumen, dass die zu kurz Gekommenen wenigstens einmal im Leben zu Helden wurden.
Manchmal ging das Gerücht, dass die Polizei einen von ihnen geschnappt habe, und blinde Wut breitete sich unter dem Volk aus wie Meeresgischt. Die Leute wussten, die Behörden würden nicht zulassen, dass diese Männer, die vom Volk gefeiert wurden, weiterhin Hoffnungen schürten. Das bedeutete, dass man sie in einem Verlies zu Tode prügeln oder aber auf dem Dorfplatz hängen würde. Ventura Marqués selbst sprach den ganzen Tag von Gerechtigkeit und davon, ein für alle Mal gegen das Elend vorzugehen, das ausgerechnet jene traf, die den Boden bestellten und das Land ernährten. Er fühlte sich nicht als Verbrecher, weil er sich dem Räuberhandwerk widmete. Er war der Meinung, dass ihn die Welt zu Schmuggel, Raub und Erpressung getrieben hatte.
»Gott trägt die Schuld an meinem Handeln. Was ist das für ein Vater, der den einen Sohn in Not bringt und dem anderen alles gewährt? Einen Menschen, der Hunger leidet, darf man nicht genauso beurteilen wie einen König«, sagte er.
Schon von klein auf war die Idee von der göttlichen Ungerechtigkeit in ihm entstanden. Eines Tages unterbreitete er sie dem Priester, der ihn bei sich aufgenommen hatte, als seine Eltern starben. Dies brachte ihm eine Tracht Prügel mit der Peitsche ein, die Narben auf seinem Rücken hinterließ. Noch in derselben Nacht lief er weg und kehrte nie wieder in die Kirche zurück.
Er hauste in den Höhlen von La Batida und schlich hin und wieder nach Carmona, um sich mit Nahrung für Körper und Geist einzudecken. Der Priester hatte ihm Lesen und Schreiben beigebracht, und so informierte er sich durch die Flugschriften über die Lage im Land. Er ereiferte sich mit den Bauern in der Kneipe und zerbrach sich den Kopf darüber, wie man ihnen ihre Würde zurückgeben könne. Er verabscheute die schamlose Überheblichkeit der Grundbesitzer, die sich nur für die Menschen interessierten, solange sie in der Lage waren, für einen Hungerlohn ihr Land zu bestellen, und sie einfach vergaßen, wenn sie krank wurden oder die Saison zu Ende war. So vehement trat er für die Vorstellung von Gleichheit und Gerechtigkeit ein, dass er bald zu einer Art Messias wurde. Ihm schloss sich eine Gruppe von Männern an, die die Reichen ausraubten und das Geld den Armen gaben.
»Wenn der Besitz auf der Welt nicht gerecht verteilt ist, müssen wir uns eben selbst darum kümmern«, erklärte er bestimmt.
Einzig Guiomar schien seine Überzeugungen ins Wanken zu bringen. Die Männer seiner Bande merkten es sofort, denn die Ausrede, ein so zartes Mädchen könne sich selbst von seinen Fesseln befreit haben, war nicht zu halten. Sie sagten
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