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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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nichts zu der Geschichte, er habe ihre Spur an der römischen Brücke verloren. Sie sahen ihn lediglich belustigt an, mehr war nicht nötig.
    Zwei Tage später war Sonntag, und Ventura Marqués verspürte den unbedingten Wunsch, Guiomar wiederzusehen. Er wusste, dass es gefährlich war, denn das Mädchen konnte ihn verraten. Aber er kam zu dem Schluss, dass eine Frau wie sie es wert war, sein Leben und auch seine Seele aufs Spiel zu setzen. Er postierte sich frühmorgens in einem Gässchen in der Nähe der Kirchentür, aber es wurde elf Uhr, bis Guiomar endlich erschien. Sie war in Begleitung ihrer Mutter und Candelas. Die beiden Frauen plauderten in einem fort, aber das Mädchen schien gar nicht zuzuhören. Mit gesenktem Blick ging sie neben ihnen her, den silbernen Rosenkranz und das Gebetbuch in der rechten Hand. Ventura Marqués wartete, bis alle in der Kirche waren, und ging dann hinein.
    In den Bänken auf der rechten Seite saßen die Männer, auf der linken die Frauen. Es dauerte eine Weile, bis sich Venturas Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten und er Guiomar entdeckte. Er suchte sich einen versteckten Platz und blieb zwischen den Pfeilern stehen, um sie in Ruhe beobachten zu können. Guiomar ging gerade zur Beichte und erschien ihm wunderschön.
    »Drei Vaterunser und drei Avemaria«, sagte der Priester schließlich mit matter Stimme.
    Guiomar bekreuzigte sich. Dann stand sie auf und ging zur Bank zurück, wo ihre Mutter und Candela mit gefalteten Händen ihre Gebete murmelten. Plötzlich spürte sie, dass jemand sie ansah. Sie blickte auf und begegnete dem Lächeln des Marquis. Ungläubig ging sie weiter, ohne den Blick von ihm abwenden zu können. Sie war so verwirrt, dass sie gegen eine Bank stieß. Hätte Candela nicht ihre Hand gepackt, wäre sie der Länge nach hingefallen. Sie glaubte ein Lachen aus der Richtung zu hören, wo der Marquis stand, sah aber nicht mehr hin. Den Rest der Messe ließ sie den silbernen Rosenkranz durch ihre Hände gleiten und wagte es nicht mehr, sich umzudrehen. Erst als sie hinausging, hielt sie nach ihm Ausschau, aber er war nicht mehr da.
    Von diesem Tag an begegnete Guiomar ihm überall. Ventura war sich seiner Sache sicher. Wenn sie die Absicht gehabt hätte, ihn zu verraten, hätte sie es schon getan. Also folgte er ihr in aller Seelenruhe zur Kirche und zum Markt, hielt sich in der Nähe von
Las Jácaras
auf und ließ sein Pferd am Brunnen trinken. Guiomar sah ihn durchs Fenster. Anfangs war sie wütend auf ihn, doch mit der Zeit hielt sie sogar nach ihm Ausschau und wurde ungeduldig, wenn sie ihn nicht gleich entdeckte.
    Eines Tages beschloss sie, ans Ende des Zauns zu gehen, der das Grundstück der Montenegros umgab und vom Haus aus nicht einsehbar war. Dort blieb sie stehen und tat so, als würde sie Blumen pflücken. Es dauerte nicht lange, bis der Marquis auftauchte.
    »Kann es sein, dass Sie mich verfolgen?«, fragte sie sehr würdevoll.
    »Kann es sein, dass Sie auf mich warten?«, antwortete er spöttisch lächelnd.
    Von da an trafen sie sich täglich in dieser abgelegenen Ecke des Gartens, verborgen von Zitronenbäumen. Auch auf diese Entfernung konnte Guiomar den würzigen Duft nach Thymian und Rosmarin wahrnehmen, der Ventura umgab. In seiner Nähe fühlte sie sich zu Hause. Jeden Tag wurden ihre Gespräche ein wenig tiefergehend. Guiomar erfuhr, dass Venturas Eltern Landarbeiter gewesen waren, bis sie schließlich starben, vorzeitig gealtert durch Hunger, Krankheit und die Furcht vor dem Grundherrn. Sie erfuhr auch, dass er als Kind mit seinem Bruder auf dem Grundstück von
Las Jácaras
gespielt hatte, dass der Pfarrer von Carmona Mitleid mit ihnen gehabt hatte und sie bei sich aufnahm, damit sie nicht auf der Straße aufwuchsen, dass sie Messdiener gewesen waren und Ventura bei ihrer Taufe dabei gewesen war.
    »Wirklich?«, fragte sie ungläubig.
    »Wirklich«, antwortete er. »Du warst winzig klein und runzlig wie eine Kichererbse. Ich habe dir meinen Finger hingehalten, und du hast ihn fest umklammert. Jetzt könntest du das nicht mehr.«
    »Natürlich könnte ich«, behauptete Guiomar.
    Er streckte ihr herausfordernd seine Hand entgegen. Sie packte sie und nahm sich vor, mit aller Kraft zuzudrücken, bis er es bereute, sie herausgefordert zu haben. Doch als ihre Hände sich berührten, war all ihre Entschlossenheit dahin. Es traf sie wie ein Blitz.
    In den nächsten Wochen streiften sich ihre Hände immer wieder, während sie sich in die Augen

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