Der Turm der Seelen
trotz der Hitze den Blazer ihrer Schuluniform trug. Amy saß Jane direkt gegenüber. Vor ihr lag die JA -Karte.
Kirsty sagte zu Jane: «Hast du eine spezielle Frage? Ein bestimmtes Problem, das du lösen willst?»
Jane schüttelte den Kopf.
«Du lügst doch», sagte Kirsty.
Jane erwiderte nichts. Sie wollte unbedingt wieder raus, aber es wäre nicht besonders schlau gewesen, die anderen das merken zu lassen.
«Ich hab euch ja gesagt, dass jemand anderes kommen wird.» Selbstzufrieden verschränkte Layla die Arme vor der Brust.
«Wir hatten eine andere Schülerin da», erklärte Kirsty, «aber sie hat Schiss gekriegt und ist abgehauen, und wir wussten nicht, ob sie das okay finden. Es sollten vier sein.»
Sie?
Jane räusperte sich. «Warum?»
«Weil wir mit vier
angefangen
haben. Deine Mutter ist doch Pfarrerin, oder?»
«Na und?»
«Oh, sie ist nicht nur einfach Pfarrerin», sagte Layla, «oder, Süße?»
Jane zuckte mit den Schultern und schwieg. Sie redete nichtgern über den Job ihrer Mutter und schon gar nicht mit jemandem wie Layla Riddock.
«Und was würde deine liebe Mutter wohl zu dieser Sache hier sagen, was meinst du?»
Jane rang sich ein Grinsen ab, sagte aber immer noch nichts. Ihre liebe Mutter würde vermutlich das Glas vom Tisch fegen, die Buchstaben durcheinanderwirbeln und Gott samt den himmlischen Heerscharen anrufen, damit dieser unreine Ort
augenblicklich
von allem Bösen befreit würde.
Kirsty sagte: «Wer hat dir von der Sache erzählt?»
«Niemand», sagte Jane. «Ich war einfach bloß …»
«Das ist doch egal.» Layla beugte sich vor. Beinahe wären ihr die großen, schweren Brüste aus dem Ausschnitt gefallen. «Also, alles bestens. Ich glaube, das wird eine sehr gute Sitzung.»
«Ja.» Kirsty klang, als fühlte sie sich getadelt. «Du hast recht.»
Jane hatte noch nie bei so einer Sitzung mitgemacht. Das war etwas für klägliche Gestalten, für Leute, die mit ihrem Leben nicht klarkamen. Das Ganze war ein Witz. Nicht unbedingt ein harmloser, aber immer noch ein Witz.
Das musste sie sich vor Augen halten, denn sie wusste, dass sie auf keinen Fall hier rauskommen würde, bevor die Sache vorbei war. Okay, wenn sie einfach aufstünde und den Schlüssel verlangte, würden sie die anderen vermutlich nicht mit Gewalt am Gehen hindern. Oder etwa doch?
Allerdings wäre das nicht gerade wahnsinnig cool.
Abgesehen davon konnte es ja sogar, na ja … interessant werden.
In dem Schuppen roch es nach Motoröl. Das Kerzenlicht schimmerte in der kleinen schweißfeuchten Kerbe über Layla Riddocks Oberlippe, die sich endlich zu einer Art Lächeln verzog.
«Also los», sagte Layla.
Es war sagenhaft.
Und man konnte echt süchtig danach werden.
Das Glas machte ein gruseliges Geräusch, als es über die fettige Oberfläche von Steves Werkbank glitt. Wie ein Sarg, der zum Verbrennen zwischen den Vorhängen eines Krematoriums durchgefahren wurde, dachte Jane, die noch niemals in einem Krematorium gewesen war – nicht einmal nach dem Tod ihres Vaters.
Das erste Mal …
«Bist du hier?», hatte Layla ruhig gefragt.
… schoss das Glas mit der Präzision einer perfekt gespielten Billardkugel direkt zu JA , und die jähe Bewegung trieb die beiden Kerzenflammen beinahe in die Horizontale, als ob jemand eine Tür zugeworfen und dadurch einen Luftzug verursacht hätte. Jane war so frappiert, dass sie beinahe zurückgezuckt wäre.
«Gut», sagte Layla.
Jane atmete langsam aus. Das hatte sie nicht erwartet. Es war niemand da, der das Glas angeschoben haben konnte. Es war einfach unmöglich.
«Und jetzt sag uns deinen Namen», verlangte Layla.
Es
, dachte Jane.
Das konnte einfach nicht sein. Ein
Es
konnte es nicht geben. Nicht an einem Sommernachmittag in Ekel-Steves verschlamptem Schuppen auf dem Gelände der öden, ehemals fortschrittlichen Moorfield High School in Herefordshire.
Das Ganze musste ein Trick sein, das war alles. Es musste eine Methode geben, mit der man das Glas wandern lassen konnte, ohne dass es auffiel – das wäre doch mal eine wirklich interessante Aufgabe für die Abschlussprüfung in Physik.
Jane sah Layla an. Ihre Augen waren geschlossen, und die feuchten Lippen ihres breiten, geschlossenen Mundes waren zu einem Lächeln verzogen, und Jane war sicher, dass Layla sie durch die geschlossenen Augenlider hindurch sehen konnte, und …
Das Glas rutschte weiter. Es zog Janes Finger und ihre Hand über die verdreckte Werkbank bis zu dem Buchstaben J
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