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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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sie zuMeno. »Aber da wäre noch etwas. Das Manuskript vom Herrn Eschschloraque. Das, lieber Rohde«, sagte der Alte vom Berge, »schieße ich Ihnen ab. Mein Band Erzählungen wird geschaßt, nur gut, daß ich noch ein paar Aufsätze hatte; und dafür wollen Sie diesen Dreck veröffentlichen, diesen gestelzten Sellerie, diesen …«, er rang nach Worten, um seine Verachtung für Eschschloraque, der eine flugunfähige, auf Klassikergips krabbelnde Schmeißfliege sei, dem blaß gewordenen, mit den Folgen des Schlückchens kämpfenden Meno mit Wucht in die Ohren zu keilen. Meno überlegte, ob er den Alten vom Berge auf Eschschloraques Verhalten aufmerksam machen sollte, unterließ es aber, wie vor den Kopf geschlagen.

    Fünfzehn Uhr. Richard verglich mit seiner Armbanduhr, während der Gong verhallte. Regine hatte sich von ihm verabschiedet, in vierzehn Tagen wollte sie wieder hier sein, hatte sie tapfer und trotzig beschlossen: keine Hysterie wie bei Alexandra Barsano, davon bekam man nur Unannehmlichkeiten, das führte zu nichts. Hartnäckiges Insistieren, unbeirrbares Brettbohren – »und wenn ich hier übernachten muß«. Richard lehnte sich an eine Wand, sah aus dem Fenster, überlegte, ein Kupfergießkännchen oder wenigstens von einer der dickfleischigen Pflanzen einen Ableger zu stehlen, aß die letzte Schnitte. Geige begutachten lassen, Gutachten bei Pahl erledigt – glücklicherweise ein verständiger und lebenskluger Mann, man konnte ja nie wissen, an welche Gegengutachter man geriet … Blieb der Gasdurchlauferhitzer. Das seltsame Ticken von heute morgen war verstummt. Meno war um zwölf nicht aufgetaucht, und der Pförtner hatte sich geweigert, »einen x-beliebigen Bürger auszurufen, wir sind doch nicht im Fußballstadion«.
    Oder auf der Pferderennbahn, dachte Richard. Schneetreiben setzte ein. Die Fördertürme im Sperrbezirk der Kohleninsel waren nur noch wie mit schwachem Bleistiftstrich skizziert sichtbar. Krähen flügelten vom Marx-Engels-Denkmal; der Posten davor, den Richard von schräg hinten sah, stand reglos, schneebedeckt, das Gewehr in Habachtstellung. Ein Knacken schlingerte durch die Heizungsrohre, die frei an der Flurwand liefen. Richard faltete das Butterbrotpapier zusammen, wusch sich an einem derWaschbecken die Hände und machte sich auf den Weg in den 11. Stock, Flur G, Büro KWV/5.

    Meno blickte auf die Uhr: Der nächste Termin war auf 15.30 Uhr angesetzt. Heißhungrig aß er den Apfel und die zwei Stücke Bienenstich, die er sich am Morgen eingepackt hatte. Slalomon . Er war der einzige Gutachter, der seine Gutachten – ausführliche Eiskunstlaufküren mit einem gewissen Anteil eingestreuter Schnittblumen – noch mit der Hand schrieb. Die Handschrift war schwungvoll und gestochen wie in Kanzleibriefen aus dem 19. Jahrhundert. In den Verlagsakten nahmen sie sich seltsam aus, wie Treibgut aus einer verschollenen Zeit, und Meno hatte, wenn er Albert Salomons Gutachten las, den gewundenen, vor Direktheiten zurückschreckenden Stil, das gleiche Empfinden wie bei Vorkriegstelegrammen, die er bei Malthakus sah, mühsam beschaffte und gegen erhebliche Widerstände zusammengefügt wirkende Zeilen, die das Bedürfnis weckten, einen Essay über den Reiz des Gerade-noch zu schreiben; es mußte etwas mit Rettung zu tun haben, einem angeborenen Schutztrieb, der ein solches, aus einer Zeitgruft gerettetes Schriftstück wertvoller erscheinen ließ als die modernen, glatten Nachrichten, die den Eindruck vermittelten, daß weder ihre Herstellung noch ihre Verbreitung Mühe kostete.
    Ein langer Anteil von Salomons Gutachten bestand aus Entschuldigungen: dafür, daß er zu einer Wertung kommen mußte; dafür, daß er hier und da eine Kürzung empfahl; dafür, daß er dem Autor und dem Lektor Ungelegenheiten bereitete; dafür, daß es ihn, Albert Salomon, gab.
    Die Geheimrätin . Eschschloraque, in seiner Eigenschaft als Dramatiker, hatte sich einmal einen Spaß erlaubt und in einem seiner Stücke sprechen lassen: »Zensoren! Wer wird denn Zensor, wenn nicht der / in dessen Kopf es überwiegend leer / und hat der Kerl die Zeile hier gelesen« – so ist das Stück auch schon gewesen, hatte Karlfriede Sinner-Priests einziger Kommentar über dem sozialistischen Gruß gelautet. Meno fürchtete sich vor ihr. Sie war unberechenbar, ihre Meinung wog am schwersten in der Hauptverwaltung, sie saß seit unvordenklichen Zeiten auf der Kohleninsel, ihre Gutachten galten als ideologischerLackmus-Test. Noch nie

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