Der Turm
gelassen, außerdem halt die Erfahrung, und deshalb sei er immer noch eingetaktet, Vierstundenschicht wie die anderen. Schöne Grüße an die Langes, nicht wahr. Damit tippte Krausewitz an seinen Anglerhut und stach den Spaten, auf den er sich während des Gesprächs gestützt hatte, in die noch schneegefleckte Erde.
Meno war heute etwas eher nach Hause gegangen, was an Freitagen einfacher war als sonst, da ab dreizehn Uhr die Hauptverwaltung Verlage nicht mehr anrief und auch Schiffner, wenn er aus Berlin gekommen war, sich um diese Zeit verabschiedete: nicht ins Wochenende, sondern zu den von ihm sehr geliebten Besuchen in Künstlerateliers, wo er fähigen Nachwuchs zu finden hoffte. »Bis heute abend, Herr Rohde, wir sehen uns bei Arbogast, ich bin auf Ihren Vortrag sehr gespannt! Sie hätten es mir aber auch sagen können, was für ein Hobby Sie haben, das kann man doch fördern – sitzt hier still für sich und brütet über Literatur, dieser Geheimniskrämer!«
Eigentlich hätte Meno noch an einem Manuskript des Autors Lührer arbeiten müssen, eine dringliche Angelegenheit, aber er wollte den Vortrag noch einmal durchsprechen und hatte bei seiner Kollegin Stefanie Wrobel, genannt Madame Eglantine, geklopft. »Verschwinde schon«, sagte sie mit resigniertem Lächeln, »viel Glück für heute abend.«
»Danke. Du hast was gut bei mir. Wenn ich was für dich tun kann –«
»Du könntest mir noch einen Topf Kaffeewasser aufsetzen, bevor du verschwindest. Einen Abzug deines Vortrags möchte ich auch haben, einen genauen Bericht natürlich und – eine ehrliche Meinung.«
»Worüber?«
»Wie du es geschafft hast, das neueste Opus unseres Klassikers mir aufzuhalsen.« Sie wies auf Eschschloraques Manuskript.
»Er droht mir.«
»Wem nicht.« Madame Eglantine zuckte die Achseln und trank hastig ihre Kaffeetasse leer.
Es dunkelte noch immer schnell, die Laternen über der Wolfsleite und der Kreuzung zur Turmstraße schwammen auf wieMonde. Ein weißer Citroën bog in die Wolfsleite und hielt vor dem ersten Haus nach der Turmstraße. Das mußte der Wagen von Rechtsanwalt Sperber sein. Meno hielt sich in den Baumschatten auf seiner Straßenseite. Der Rechtsanwalt stieg aus, klapperte mit Schlüsseln, das Garagentor am Ende des schmiedeeisernen Zauns öffnete sich, und Meno beobachtete Sperber, über den im Turm viele Gerüchte kreisten: Er arbeite die Woche über in einem Rechtsanwaltskollegium auf der Askanischen Insel, habe auch eine Dienstwohnung da und eine Geliebte, von der seine Frau nicht nur wisse, sondern die sie ihm aus der Studentinnenschar des Juristischen Kollegs, an dem er Vorlesungen hielt, selbst ausgesucht habe; daß er ein fanatischer Anhänger des Fußballclubs »Dynamo Dresden« sei – Meno wußte es von Ulrich, der Sperber schon öfter im Stadion begegnet war –, und daß er ein Ohr für alle habe, die in politischen Schwierigkeiten steckten. Sperber wandte sich um, fixierte Meno, winkte: »Guten Abend, Herr Rohde, es beginnt doch erst neunzehn Uhr c. t., wenn ich nicht irre?« Also gehörte auch Sperber zur Urania? Meno verbarg seine Überraschung und ging auf Sperber zu, versuchte unbefangen zu wirken, denn sein Versteckspiel und mehr noch seine Entdeckung waren ihm peinlich. Aber das wird er kennen, sagte er sich mit belustigtem Ärger, das wird das Verhaltensmuster seiner Mandanten sein. Sperber sagte, daß es schön sei, sich einmal kennenzulernen, er sei ja ein Liebhaber der Dresdner Edition, geradezu ein Abonnent, und da der Name des Lektors im Impressum genannt werde, habe er mit ihm, wenn es gestattet sei, die Arbeitsweise für den Menschen zu nehmen, gewissermaßen schon Bekanntschaft gemacht, wie übrigens auch mit Frau – »oder Fräulein?« Sperber lächelte charmant, Wrobel, die allerdings strenger mit manchen Autoren umgehen müsse, da gebe es Unregelmäßigkeiten, er wolle natürlich keine Namen nennen. – Natürlich. – Manche unserer lebenden Klassiker seien doch recht unsicher bei der Zeichensetzung. Bei Preisangaben müsse ein Geviertstrich stehen, kein Gedanken- und auch kein Bindestrich. Auch habe er neulich eine Trennung entdecken müssen, die er sofort zum Gegenstand seines Kollegs gemacht und auch in der Kanzlei verbreitet habe: Chi-rurg, statt, korrekt, Chir-urg! Sperber ließ die Handkante sausen und kniff dasrechte Auge zusammen. Schiffner sei doch vom alten Schlag, ob er nicht … Aber davon später mehr! Sperber lachte und gab Meno die Hand zu einem
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