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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Entschuldigung, daß er Sie noch nicht selbstempfangen hat und noch etwas warten lassen muß. Eine wichtige Besprechung. Für die Frau Baronin?« Die Haushälterin wies auf die Rose, die Meno hastig auspackte. »Geben Sie.« Sie nahm das Papier, hob den Kopf und starrte Meno aus krötengrünen Augen an: »Frau Baronin liebt Rosen.«
    Das dachte ich mir, dachte Meno. Während Alke Mantel und Hut nahm und fortschaffte, sah er sich um. Er hatte seinen besten Anzug aus dem Schrank genommen, das beste Hemd der wenigen, die er besaß, angezogen, aber der polierte Schachbrettboden, die geflammten Marmorsäulen links und rechts, die von der Halle Galeriegänge abtrennten, der schwere Eichentisch: ein schwarzer Drache, der zwischen den aufgespannten Flügeln die Tischplatte trug, die zwei mannshohen Leuchter aus massivem Silber darauf, die ein Ölgemälde flankierten, der Lüster aus Bergkristall, der die Halle mit weichem Licht füllte: all das gab ihm zu verstehen, daß er arm war. Diese Empfindung hatte er auch gehabt, wenn er bei Jochen Londoner, dem Vater von Hanna, zu Gast gewesen war, aber nicht so stark wie hier, dies war ein Reichtum, wie es ihn im Sozialismus eigentlich nicht geben durfte. Meno hatte schon einige Wohnungen gesehen, von Großautoren, Parteifunktionären – ein solches Haus aber noch nicht. Die Parteifunktionäre besaßen meist einen zweifelhaften, deutlich vom Kleinbürgerlichen kommenden Geschmack, auch war ihm aufgefallen, daß die meisten Funktionäre für Komfort ohne erkennbaren Nutzen kein Verständnis aufbrachten. Das schlechte Essen bei Barsano war berüchtigt, und die Wohnung, die er sich innerhalb der weitläufigen Anlage von Block A eingerichtet hatte, spartanisch. Hier dagegen … Am Ende des linken Säulengangs schlug eine Tür, ein weißbekittelter Mann trat heraus und ging mit hallenden Schritten, über Papiere gebeugt, die er im Gehen durchblätterte, und ohne ihn zu beachten zur Treppe. Sie bestand aus weißem Marmor mit schwarzen Sprenkeln, wie das Fell eines Dalmatinerhundes, und teilte sich in Flügel, die in elegantem Bogen in die erste Etage und zu einem mit Balustern versehenen Balkon zusammenliefen. Ein dünnbeiniges Gestell, einer Staffelei ähnlich, hielt einen Spiegel, der, wie Meno erst beim Nähertreten bemerkte, nicht aus Glas, sondern aus Metall gefertigt war. Meno rückte die Krawatte zurecht.
    »Frau Baronin läßt bitten«, hörte er die rostige Stimme der Haushälterin hinter sich. Er wandte hastig den Kopf, Else Alke nickte ihm zu und wies auf die Treppe. Oben öffnete sich eine Tür, eine Frau im Jägerkostüm kam auf ihn zu.
    »Frau von Arbogast.« Habe ich doch tatsächlich einen Handkuß angedeutet, mein Gott.
    »Herr Rohde. Was für eine schöne Rose.« Sie nahm sie sichtlich erfreut.
    »Ich danke Ihnen herzlich für die Einladung.« Wie alt mag sie sein, fünfzig, sechzig? Älter? Lederbraunes Gesicht, biegsamzähe Figur. Durch die Feuer, die ihr jedes überflüssige Gramm abgeschmolzen haben, möchte ich nicht gehen. Und tatsächlich hat sie violettes Haar.
    »Danken Sie meinem Mann. Es freut uns, daß Sie die Zeit gefunden haben, uns zu besuchen.« Ob sie ihm etwas anbieten könne? Ihr Mann sei leider noch beschäftigt, eine dringliche, außerreguläre Sitzung, wie sie in den Phasen der Fünfjahrplan-Ausarbeitung öfter vorkämen. Er lasse ausrichten, daß er seine Unpünktlichkeit bedaure, und dies um so mehr, als er Herrn Rohde ja ausdrücklich gebeten habe, schon um siebzehn Uhr dazusein. Ob Herr Rohde inzwischen mit ihr vorliebnehmen wolle. »Kann ich Ihnen etwas anbieten?« Sie standen nun am Treppenfuß, und als er nickte, machte sie eine Handbewegung, die er erst verstand, als die Haushälterin erschien. »Stellen Sie sie bitte in eine Vase und in mein Zimmer. Etwas zu trinken für Herrn Rohde.« Sie hob fragend die Brauen.
    »Ein Glas Wasser, bitte.«
    »Aber Herr Rohde. Ein Glas Wasser. Ich möchte Ihnen etwas ganz Köstliches anbieten. Bringen Sie uns bitte zwei Gläser Granatapfelsaft.« Sie hätten die Früchte vom Schwarzen Meer bekommen, grusinische Ernte, noch immer gebe es Verbindungen des Instituts dorthin. »Man erzählt sich einiges über uns, hier im Viertel. Wir wissen das. Wahr ist, daß wir zehn Jahre in Sinop gearbeitet haben. Es war gute Arbeit, und es war richtig, daß wir sie getan haben.« Ob er noch einen Wunsch habe. Er verneinte, beobachtete sie. Wie besorgt sie ist. Sie hat die Haltung einer Zirkusdirektorin beim

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