Der Turm
Hohe-Schule-Reiten. Das Kostüm, das sie trägt, gibt es nicht im »Exquisit«. »Dieses Bild.« Er wies aufdas Ölgemälde über dem Drachentisch. »Wer hat es gemalt?« Frau von Arbogast konnte es nicht sagen. Sie reichte Meno ein Glas und schenkte ihm und sich aus einer Karaffe blutroten Granatapfelsaft ein; die Haushälterin hielt das Tablett und starrte ins Leere, während die Baronin in kleinen, hastigen Zügen trank. Meno kostete, lobte. Der Saft war eisgekühlt, von sämiger Konsistenz und wohlschmeckend; Meno schloß die Augen, es war, als ob Metall seine Kehle überzöge. Der weißbekittelte Mann kam wieder vorbei. »Herr Ritschel«, der Angesprochene blieb stehen und drehte sich langsam, wie in Zeitlupe oder wie jemand, der eine große, alte Wut bezähmen muß, zur Baronin hin. »Sagen Sie doch bitte meinem Mann, daß ich Herrn Rohde ein wenig durchs Haus führe.« Herr Ritschel drehte sich etwas schneller wieder um und tappte die Treppe hinauf.
»Übrigens hoffe ich, daß die Hunde und die Alarmanlage Sie nicht allzusehr erschreckt haben? Wissen Sie, das ist eine Leidenschaft meines Mannes. Er hat sich das Geld für seine erste eigene Firma mit dem Bau von Fotoapparaten und Alarmanlagen verdient, der erste Fotoapparat ging an mich und schmorte durch, das war Absicht, Ludwig wollte mich wiedersehen … Er ist so stolz auf seine Bastelfertigkeiten.« Sie betrachtete ihre Fingernägel, nahm Menos inzwischen leeres Glas, stellte es neben ihres auf das Tablett, das die Haushälterin auf dem Drachentisch zurückgelassen hatte. »Ja, das Bild. Es ist schon sehr alt. Ich habe es mitgebracht.« Das Bild war quadratisch bei einer Seitenlänge von etwa zwei Metern. Das eigentliche Gemälde befand sich in einem Kreis, der alle vier Ränder des Quadrats berührte, aber die Ecken aussparte; sie waren mit Kupferfarbe ausgemalt und trugen eine schnörkelige Inschrift, Meno konnte sie nicht entziffern. In einem Säulengang mit vorgelagerter Treppe sah man Männer in langen Togen in ruhigem Gespräch. Im Vordergrund saß ein Mann am Mikroskop; zwei Grüngekleidete standen vor einem Fernrohr, der eine wies zum Himmel, der andere betrachtete ein Astrolabium mit den sieben Planeten; sie schienen aus seiner ausgestreckten Hand gereift zu sein. Ein Mann mit weißem Haar hielt eine Silberdistel. Eine Frau stellte Berechnungen an. Auf einer Wiese spielte ein Kind; Wolf und Hirsch tranken aus einer Quelle. Ein Mädchen hielt eine Waage, ein Jungezeichnete. In der Ecke stand jemand mit schlechten Augen. »Wissen Sie, was ich bei diesem Herrn immer denke?« Die Baronin wies auf einen rotgekleideten Mann, der die Arme ausgestreckt und das Gesicht erhoben hatte. »Daß er kurz davor ist, das Klavier zu erfinden. Alte holländische Schule, mehr weiß ich nicht; Ludwig sagt, es sei ein Stück gute Malerei, ich glaube, er hat recht damit, denn für dieses Bild interessieren sich die meisten, die uns besuchen kommen. Fräulein Schevola allerdings hat nicht viel dafür übrig … Zu viele alte gelehrte Männer, und wenn schon eine Frau, dann eine Mathematikerin … Sie mag keine ungerechten Bilder.«
»Ungerecht?«
»Bilder mit totalitären Farben, die so stark sind, daß sie Demut und Liebe fordern, wie sie sagt. Sie mag das schon bei Grünewald nicht. Er greife sie an. – Sie kennen Judith Schevola?«
»Vom Lesen«, wich Meno aus.
»Im Kreis weltverbessernder alter Lüstlinge, von denen Sie heute abend einige kennenlernen werden, gibt sie ein belebendes Element ab.« Sie schenkte Meno ein hartes Lächeln. »Gehen wir. Ludwig möchte, daß Sie einiges sehen, bevor die anderen eintreffen. – Na, das kann er Ihnen besser zeigen als ich.« Sie gingen Arbogast entgegen.
»Herr Rohde! Ich freue mich sehr, daß Sie gekommen sind. Bitte entschuldigen Sie meine Verspätung. Kann ich etwas für Sie tun? – Hast du ihm von unserem Granatapfelsaft holen lassen?«
»Natürlich, Ludwig. – Wir haben uns gerade das Bild angesehen. Herr Rohde wollte wissen, wer es gemalt hat.«
»Sie schätzen Malerei? Oh, das ist eine überflüssige Frage an einen Mitarbeiter der Dresdner Edition.« Der Baron ließ Menos Hand los, die er, noch auf der untersten Treppenstufe stehend, wo er Meno um gut zwei Köpfe überragte, schwach, aber unablässig geschüttelt hatte.
»Ich werde noch einmal die Vorbereitungen kontrollieren. Ich lasse euch jetzt allein.«
»Gern, meine Perle.« Arbogast deutete eine Verbeugung vor seiner Frau an. Sie zwinkerte Meno zu
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