Der Turm
woher das Leder für ihre Schuhe stammt, die sie beim Empören tragen.«
»Es mag ehrlich sein, den Tod zu akzeptieren und auszustellen. Aber es ist nicht groß.«
Schevola sah auf und musterte ihn erstaunt. »Dann ist es groß für Sie, zu lügen?«
»Schicken Sie mir Ihr Manuskript.«
Ihr Gesicht verfinsterte sich jäh. Sie begann häßlich zu lachen. »Sagen Sie, glauben Sie, daß ich mich mit Ihnen unterhalte, um Ihnen auf diese Weise meine Sachen anzudrehen?«
»Entschuldigen Sie bitte, so habe ich das nicht gemeint. Es ist nur … «
Schevola griff sich an die Schläfe und massierte sie. »Sie sind müde, und ich belästige Sie …«
»Darf man sich dazustellen?«
»Bitte«, sagte Meno. »Herr Dr. Kittwitz, Physiker, Frau Schevola, Schriftstellerin.«
»Wir kennen uns bereits von früheren Urania-Treffen«, entgegnete der Physiker. Er hatte drei Gläser und eine Sektflasche mitgebracht und schenkte ein. »Krimsekt, vom feinsten. Der Alte hat die Spendierhosen angezogen. Nobel. Wollen Sie nichts essen, Herr Rohde? Sie haben es sich verdient, und es ist schon nach Ihnen gefragt worden. Herr Altberg und Meister Sperber wollten ein paar Worte mit Ihnen wechseln, und auch Ihr Chef. Da haben Sie schon eine kleine Interviewliste. Zum Wohl, Judith. Herr Rohde.« Sie stießen an, tranken. »Arbogast schnallt in diesem Fall die Uhr ab, legt sie vor sich hin und sagt: Verzeihen Sie bitte, aber ich kann Ihnen nicht mehr als vier Minuten und einunddreißig Sekunden widmen.«
»Du scheinst ihn wieder mal sehr zu mögen, Roland.« JudithSchevola lachte ihr sandiges, häßliches Lachen. »Wie steht’s mit deinem Projekt?«
»Ich mag ihn wirklich ganz gern. Möglich, daß er seine Schrullen hat, aber eins muß man ihm lassen: Er kümmert sich. Wir haben es zur Veröffentlichung eingereicht. Zwei Wochen später riefen sie an, daß sie vorläufig nicht drucken könnten, da ihr Papier kontingentiert worden ist und sie erst sehen müssen, wo sie für die nächsten Ausgaben welches herbekommen. Das mußt du dir auf der Zunge zergehen lassen: Wir machen hier im Institut eine grundlegende Entdeckung … «
»Oh, mein lieber Roland wird auf seine mittleren Tage bescheiden und sagt ›wir‹?«
»Judith … laß das doch. Eine grundlegende Entdeckung! Aber anerkannt ist nur das, was publiziert wird, Herr Rohde, und Priorität darf allein beanspruchen, wer zuerst veröffentlicht … Und wissen Sie, was passiert ist? Es gibt eine Arbeitsgruppe in Bremen. Vor ein paar Tagen nimmt mich Arbogast beiseite und sagt, daß er mit einem Kollegen dort gesprochen hat. Sie haben dieselbe Entdeckung wie wir gemacht, vier Wochen nach uns, aber sie wird eher veröffentlicht … Nur weil es in diesem Land wieder mal kein Papier gibt … Ich könnte aus der Haut fahren, das kannst du mir glauben.« Er trank hastig aus und schenkte sich nach. »Judith: Es war unsere, es war … meine Entdeckung. Und es wird einem genommen!«
»Hat er nicht gesagt, am Telefon, daß ihr schneller wart?«
»Natürlich hat er das. Antwort: Lieber Kollege Arbogast, wir kennen die Ausstattung Ihres Instituts und auch im großen und ganzen Ihre Mitarbeiter … Sie wollen uns doch nicht unser Prioritätsrecht streitig machen? Bitte sehr, wir müssen es akzeptieren – wenn Sie Ihre Ergebnisse eher veröffentlichen als wir! Arrogante Arschlöcher! Hier kann keine große Forschung betrieben werden, das ist hier ja die dumme Zone … Und weißt du, was wir hier zu hören bekommen? Förderung? Für Strömungsforschung? Was bringt das der Volkswirtschaft für einen konkreten Nutzen? Wir sehen diesen Nutzen nicht, tut uns leid. Tja.« Kittwitz trat an den Rand des Altans, umklammerte die Brüstung. »Weißt du, was ich möchte? Weg möchte ich.«
»Es soll einen Milliardenkredit der Bayerischen Staatsbankgeben. Als Gegenleistung soll der Mindestumtausch für Kinder wegfallen.«
»Das ist ja unfaßbar humanistisch. Ja, kinderfreundlich war er schon immer, unser Staat. Franz Josef Strauß, der Erzimperialist, pumpt uns eine Milliarde vom harten Ausbeutergeld. Plötzlich führt der Weg ins Gelobte Land mitten durchs katholische Bayern … Soviel taugen sie also, die Prinzipien.«
»Außerdem soll es die Möglichkeit einer Heirat zwischen DDR-Bürgern und Ausländern geben, ebenso das Recht zur Beschwerde bei abschlägigen Bescheiden in diesem Punkt. Wenn das kein Fortschritt ist!«
»Dann kannst du dir auf der Leipziger Messe einen kapitalistischen Millionär angeln.
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