Der Turm
Dürfte dir bei deinem Charme nicht schwerfallen, Judith. Und wenn du den Klassenfeind nicht bekommst, kannst du eine Eingabe verfassen. Oder wie wär’s mit einem Waffenschieber, der bei uns für den Irak einkauft? Prosit.«
»Du trinkst zuviel, Roland. Denk dran: Kaum war das Wort dem Munde mir entflohn –«
»Hätt’ ich’s im Busen gern zurückgehalten. Schiller, oder so ähnlich. Das weiß Herr Rohde. Nichts für ungut übrigens.« Er hob das Sektglas und trank Meno mit finsterer Miene zu.
»Herr Rohde, hier stecken Sie! Kommen Sie doch herein, Sie werden sich erkälten!« Frau von Arbogast winkte aus dem Fenster des Arbeitszimmers. »Und Fräulein Schevola und Herr Kittwitz! Ja, Jugend sucht sich, findet sich. Aber leisten Sie uns doch Gesellschaft, sonst wird drinnen nur über Politik, Autos und die Prostata gesprochen!« Sie schloß das Fenster.
»Fräulein!« murmelte Judith Schevola entrüstet. Kittwitz lachte. »Aus irgendeinem Grund scheinst du ihr sympathisch zu sein. Komm, wir teilen uns den letzten Schluck.«
»Mein Gott, violettes Haar. Roland, weißt du, was sie mich gefragt hat? Warum ich mir meines nicht färben lasse. Ob es eine Krankheit sei. Natürlich, habe ich geantwortet, es liegt zuviel Asche in der Luft.«
Drinnen sprach Zahnärztin Knabe, eine große Frau mit kurzgeschnittenem schwarzem Haar, sauerkirschrot geschminktem Mund und einer vielfach geschlungenen Halskette ausblauen Holztrauben, über die Vorzüge des Matriarchats und die Feldenkrais-Methode. Ihr Mann stand mit gesenktem Kopf und ineinandergeflochtenen Händen neben ihr und starrte auf eine Ananas, der sich Professor Teerwagen und Dr. Kühnast in angeregtem Gespräch bis auf wenige Dezimeter genähert hatten. »… es läuft ja doch auf die Unterdrückung der Frau hinaus, seit Jahrhunderten und Jahrtausenden, ach, seit Anbeginn der Zeiten. Natürlich verdanken wir einer Frau die Vertreibung aus dem Paradies, und ich habe folgendes noch gelernt: mulier tacet in ecclesia! Die Frau schweige in der Kirche, so steht es in der Bibel. Eine Frechheit.«
»Vielleicht werden die Propheten ihre Gründe dazu gehabt haben?«
»Ihr Lächeln macht Ihren Scherz nicht besser, Herr Däne. Was sagen Sie denn dazu, Frau Schevola? Wäre es nicht an der Zeit, die Herrschaft der Männer zu beenden? Besonders die der alten!«
Judith Schevola hob ihr Glas.
»Ah, und da ist ja Herr Rohde! Wir waren eben bei Zusammenhängen und Ich-Du-Grenzdurchbrüchen. Wie Sie vorhin sagten, bei diesen Nervenspinnen oder so ähnlich: Es wird etwas injiziert. Ich denke an die Anästhesie des Nervus mandibularis – Klappe auf, kurzer Pieks, fünf Minuten warten, und Ruhe im Karton! Aber dieses In-ji-zieren«, Frau Knabe dehnte das Wort mit geweiteten Augen, »dieser Stich, schöner Druck, und dann träufelt das Fremde in uns hinein, das bittere oder das süße Gift … Toxisch! Ich mußte bei Ihren Worten auch an Sex denken!« Die Umstehenden grinsten.
»Nicht mit Ihnen, Herr Rohde, Sie sind mir zu mager und haben zuviel klassische Bildung. Wissen Sie, daß manche Patienten den scharfen Schmerz, wenn man den Dreifingergriff macht und die Injektionsnadel weich in die Schleimhaut schiebt, als energetisierend empfinden?«
»Aber ich muß sagen, ich habe da neulich etwas von einem Arzt gelesen, Georg Groddeck –«
»Tatsächlich, Herr Däne, ich auch!«
»Buch vom Es, Herr Dietzsch?«
»Ja! Und da fand ich doch interessant, was er über Heilerfolgeschreibt, jede Behandlung des Kranken ist die richtige, stets und unter allen Umständen wird er richtig behandelt, ob nun nach Art der Wissenschaft oder nach der des heilkundigen Schäfers – der Erfolg wird nicht von den Verordnungen gemacht, sondern von dem, was unser Es damit anstellt –«
»Sie wären der ideale Arzt für das hiesige Gesundheitswesen«, nahm Frau Knabe wieder das Wort, »aber wissen Sie, neulich zwickte mich ganz scheußlich mein Musculus latissimus dorsi, und mein Es machte leider gar nichts daraus! Es verlangte nach Schmerztabletten und Korrektur des zugrundeliegenden falschen Bewegungsrasters … Raster ist übrigens ein interessantes Wort. Ein treffendes Wort. Denkraster, Erfahrungsraster, und eben Bewegungsraster. Da sind wir wieder bei Feldenkrais, Sie hatten mich unterbrochen!«
»Aber es gibt doch dieses unwägbar Menschliche, Frau Doktor Knabe. Die Wissenschaft kann nicht alles zählen, messen und, von mir aus: rastern.«
»Wer behauptet das denn, Herr Däne? Aber Feldenkrais
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