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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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stellt nicht einfach unbewiesene Behauptungen auf. Zum Schluß läuft es doch darauf hinaus, daß sie sagen, Es – ist ein Mann!«
    Meno ging ans Büfett. Judith Schevola stand lachend in einer Gruppe weißbekittelter Institutsmitarbeiter, Rechtsanwalt Sperber in der Nähe, der sich mit der Baronin und Teerwagen unterhielt. Aufschnitt von kaltem Braten, Schinken, ungarische Salami, in hauchdünne Scheiben geschnitten, mehrere Sorten Käse, appetitlich auf Platten mit Salatblättern, halbierten gekochten Eiern, Kaviar und Tomaten garniert, knusprig gebratene Hähnchen, Margonwasser, Bier, Wein, Krimsekt und duftendes Brot. Dazu in großen Schüsseln Obst- und Waldorf-Salat, Weintrauben, Bananen, Früchte, die Meno nicht kannte.
    »Nicht schlecht, oder?« Das war Malthakus, mit feinem Lächeln. »Heißt Kiwi, was Sie da in der Hand halten. Kommt aus Neuseeland.«
    »Hab’ ich noch nie gesehen, Herr Malthakus.«
    »Ich auch nicht bis heute abend. Das heißt – Moment. Auf einer neuseeländischen Briefmarke … Oder war da ein Vogel drauf? Man muß sie schälen oder auslöffeln. Haben Sie die Kartoffelsuppe schon probiert? Ein Genuß, so würzig. Ich mag ja solcheSpeisen am liebsten. Die einfachen. Die es auch im Krieg noch gibt. Brot, Pellkartoffeln, Quark, Eintopf, Kartoffelsuppe. Naja, Bananen sind auch nicht zu verachten.« Er hob die Hand und lachte ein stilles, schuckelndes Lachen hinein. »Habe schon fünf verdrückt und ein paar auch um die Ecke geschafft.« Malthakus blickte Meno verschmitzt an. »Für die Kinder. Im Saftladen vorne gibt’s ja nischt.« Der »Saftladen« war die Verkaufsstelle für Obst, Gemüse und Speisekartoffeln an der Kreuzung Rißleite/Bautzner Straße, gegenüber der Konditorei Binneberg, und »nischt« waren Gelbe Köstliche, Schwarzwurzeln, Zuckerrüben, Bohnen, Möhren, Kohl und ein großes Schaff mit schmutzigen Kartoffeln. Dazu »Saft«: rote Brause, allgemein »Leninschweiß« genannt.
    »Übrigens echter Molossol, der Kaviar. Möchten Sie eine Tüte haben? Ich nehme immer welche mit, wenn es zu Arbogast geht. Er ist im Versorgungsprogramm von denen drüben. Mitschurin-Küchenkomplex. Das geht völlig an den normalen Läden vorbei.«
    »Ich weiß.«
    Malthakus sah überrascht auf, Mißtrauen huschte über sein Gesicht. »Ahja. Verstehe … Meine Mädchen waren mit Hanna befreundet, als sie kleiner waren. Später durften sie nicht mehr mit ihr zusammensein. Habe sie lange nicht mehr gesehen.«
    »Sie lebt in Prag, arbeitet als Ärztin an der Botschaft.«
    »In Prag ist sie, und Ärztin an der Botschaft … Jaja, aus Kindern werden Leute. Ich kann mich auch noch an Sie erinnern, wie Sie mit Hanna zu mir ins Geschäft kamen und Ansichtskarten kauften. Sie von Prag und London, Hanna immer von Paris. Immer von Paris, jaja.« Malthakus rückte an der Brille, musterte Meno nachdenklich. »Sie haben vorhin ein Gedicht zitiert, Herr Rohde. Ich kann sonst wenig mit so etwas anfangen, das meiste ist zu hoch für mich. Die Damen und Herren moderne Lyriker sind sicher alle sehr gebildet und avanciert, aber ich verstehe sie nicht, tut mir leid. Ein schlichter Vers von Eichendorff oder Mörike, das ist so mein Horizont. Aber dieses, das Sie da zitierten –«
    »Ein japanisches Haiku. Oh diese Schwüle! / Auf den sommerlichen Bäumen / hängen heiß die Spinnennetze . Der Dichter heißtOnitsura, er hat im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert gelebt.«
    »Ahja. Finden Sie nicht auch, daß es hier furchtbar heiß ist? Aber sehen Sie, das ist es, was mir nachgeht: die heißen Spinnennetze. Sie müssen verzeihen, wenn ich für den Rest Ihres Vortrages weniger Aufmerksamkeit aufbringen konnte, die ganze Zeit ist mir das im Kopf herumgegangen! Man geht dem Herrn, wie sagten Sie? – Onitsura nämlich auf den Leim. Man glaubt ihm die heißen Spinnennetze! Bis man entdeckt, daß Hitze Körper benötigt, nur ein Körper kann heiß werden! Den doch ein Spinnennetz aber gar nicht hat – also kann es auch nicht heiß werden … Und doch traut man diesem Burschen, irgendwie stimmt der Vers, das irritiert mich! Oh, ich glaube, der Baron möchte Sie sprechen. Soll ich derweil … für Sie tätig werden?« Malthakus blickte sich rasch um und zog den Zipfel eines Plastbeutels aus der Hosentasche. »Wir haben doch bis zur Wolfsleite den gleichen Heimweg – dann Übergabe der betreffenden Ware!« Meno mußte lächeln über den blauen Unschuldsblick des Briefmarkenhändlers, die geraunten Worte hinter

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