Der Turm
die Kolportage umgeht und dort, wo »Anna Karenina« draufsteht, auch Anna Karenina drin ist. Schevolas Buch soll also bei uns veröffentlicht werden, das kam für mich selbst überraschend. Sonst, wenn Schiffner sich für ein Buch entschieden hat, legt er uns detaillierte Anweisungen ins Fach – und schweigt nicht, wie hier. Natürlich ist alles vage – wie immer bei Drucksachen im allgemeinen, bei Schiffner im besonderen und dem PLAN im ganz besonderen. Frau Zäpter, seine selbstbewußte Sekretärin – über unverlangt eingesandte Lyrik entscheidet sie – bereitete geräuschvoll Kaffee, während Schiffner gegenüber von Schevola Platz nahm und mich dazulud. Er betrachtete seine Fingernägel, vor sich das Manuskript, aus dem zwei Seiten herausstachen, die er, als der Wasserkessel zu pfeifen begann, in den Block zurückzustupfen versuchte. Madame Schevola schien ruhig undverschlossen, sie hatte die Finger aneinandergelegt, starrte auf den Tisch und war bleich.
»Also Sie haben da etwas geschrieben, und das wollen Sie nun veröffentlichen. Nun will ich Ihnen mal die Philosophie unseres Hauses erörtern, mein Kind.« Ich hasse diese Momente – und genieße sie zugleich, merkwürdigerweise, denn wie einem Autor zumute ist, der solches zur Begrüßung, als allerersten Satz, zu hören bekommt – nicht einmal Guten Tag, dafür sind die Vorzimmer zuständig, Schiffner steht nur auf, strafft sich und fährt sich knapp übers Haar, leimt den irrlichternden Autorenblick mit seinem väterlichen Verlegerblick fest, reicht die Rechte und weist mit unnachahmlich abtropfender Handbewegung stumm auf den Armesünderstuhl am Konferenztisch, seinem imperialen, mit münzgroßen, gelben Polsternägeln beschlagenen Chefsessel gegenüber –, wie also der beherrscht wirkenden Schevola zumute ist, kann ich nachfühlen.
»Wir machen Autoren, keine Bücher. Wir machen nicht nur mal so eben«, er hebt das Kinn und wedelt sanft mit der Linken, »ein Buch, mein Kind. Nein.« Wie er den Kopf schüttelt dabei. Wie er es sagt, dieses Nein: nicht mit Nachdruck, nicht mit abputzender Stimmhöhung, er senkt das Kinn und schüttelt nachsichtig den Kopf, als spräche er zu einem ungezogenen Haustier, die Hand wird flach fallengelassen – Robbenflosse – und teilt sacht die Luft, als gäbe es außer diesem milden »Nein« nichts mehr zu sagen, dabei rollt er die Lippen. Abschmecken des Effekts. Und wenn er dann die linke Braue lüpft, weiß Frau Zäpter, daß es Zeit ist, den Kaffee zu servieren, für ihn mit einem Sahnebällchen, das aus einem kraftvoll geschüttelten Siphon spotzt, und dann, wenn er, die Braue ein wenig weiter hebend, genippt hat, folgt: »Kommen Sie mal mit, mein Kind.« Jetzt zeigt er ihr die Grafiken und Gemälde an den Wänden zwischen den Regalen, Porträts von Schriftstellern, alle von renommierten Vertretern aus dem Verband Bildender Künstler geschaffen; er schnippt den rechten Zeigefinger aus, auf dem ein Ring mit grünem Stein sitzt, tupft in Richtung des ersten Bilds: »Wer ist das?« – »X.« Zweites Bild: »Wer ist das?« – »Y.« Drittes Bild: »Und das?« – »Z.« Er tätschelt ihr die Wange und sagt: »Sie irren sich, es ist A.« Dann greift er ins Regal, holt einen Spiegel hervor, hält ihn der verblüfften Schevola vorsGesicht: »Und wer ist das?« – »Ein anderer?« – »Das ist ein Autor, der nichts kann.« Er beobachtet sie scharf, lauernd, mit leicht zusammengekniffenen Augen, die Zunge sucht ihren Weg in die linke Zahnreihe; er wirbelt den Spiegel nach hinten und stoppt, als wäre er ein Revolverheld, der den Colt, noch rauchend, wieder ins Holster schiebt, dann legt er den Spiegel wie eine Kostbarkeit, behutsam und korrekt, ins Regal zurück.
»Wenn Sie dieser Meinung sind, warum bestellen Sie mich überhaupt her?«
»Ah, meine Liebe, es ist sehr gut, daß Sie wütend werden. Das Talent von Autoren, die wütend werden können, ist in der Regel entwicklungsfähig.« Er schaut auf die Fingernägel, dann zu mir: »Das wird Herr Rohde übernehmen, den Sie ja schon kennengelernt haben. Ein erfahrener Lektor mit viel Feingefühl. Noch eins.« Er zieht ein Buch aus dem Regal: »Sie gebrauchen das Semikolon inflationär. Hier ist ein Werk von Gustav Regler. Kennen Sie Gustav Regler? – Sollten Sie aber. Sie setzen sich jetzt hin und studieren im Kapitel vier, wie Regler das Semikolon gebraucht. Es ist«, Zeigefinger, Aufblitzen des grünen Steins, »ein Punktersatz! Auch kann man sich über die
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