Der Turm
fallen undlachte sein heiser-leises, schulterruckendes Lachen. Christian hatte das Gefühl, als hätte sich Falk in seinen Körper nur hineingeborgt, so schlotterig waren seine Bewegungen, Christian sann nach dem rechten Wort: ungelenk, fiel ihm ein, und dann erinnerte er sich an Sportstunden bei Herrn Schanzler, der mit preußisch exakten Dirigiergeometrien einen weißgrün gekleideten Pulk in der Turnhalle umhertrieb; Falks eckige Ausholbewegung beim Werfen der Keulen-Handgranaten, der Laufstil: zur Seite schlenkernde Beine wie bei einem Mädchen, seinen im Moment des Wurfs zwischen Verzweiflung und Selbstspott pendelnden Gesichtsausdruck, die flatternden Hände und Finger auch jetzt bei Jens Ansorges kleinem Jux. Linkisch, dachte er, das trifft es eigentlich noch besser als ungelenk. Aber wie sagt Meno: »Eigentlich« ist ein zu vermeidendes Wort.
»Die Wahrheit«, antwortete Siegbert gedehnt, »ich weiß nicht. Paß mal auf, daß du kein Blaustrumpf wirst. Intellektuelle Frauen kriegen erst keine Männer und dann keine Kinder, sacht meine Mudder, un’ dann sinnse unglücklich. Da haste ’ne Wahrheit.« »Du eingebildeter Chauvi«, empörte sich Verena, » meine Mutter hat schon recht: Was dieses Land braucht, ist eine Frauenbewegung –«
»Ooch, niemand hat was gegen Frauenbewegungen«, warf Jens Ansorge lässig ein, »wenn sie nur schön rhythmisch sind.«
Falk und Siegbert grunzten vor Lachen.
»Bleibt doch mal bei der Sache«, Christian spürte, daß er rot wurde, als Verena aufsah, sofort zog er den Blick zurück und starrte auf seine Schuhe, »– was verstehst du denn unter Wahrheit?«
»Bestimmt nicht den Klassenstandpunkt von Schmidtchen Schleicher –« So nannten sie Schnürchel, nach einer Figur aus einem Schlager, Schmidtchen Schleicher mit den ä-lastischen Bajnen …
»Ansorge läßt mal wieder den Zyniker raushängen«, spottete Reina Kossmann, »alles bloß Balzverhalten, Verena. Was hat uns Doktor Frank über radschlagende Pfauen erzählt?«
Jens Ansorge beugte sich hoch, musterte Reina besorgt, spitzte die Lippen zum Kuß. Sie schlug sich an die Stirn und küßte zurück.
»Na also«, sagte Jens befriedigt.
»Habt ihr schon gehört? Bald geht der Verpflichtungszirkus los. Vor dem ersten Mai will Fahner das über die Bühne haben. Dann gibt’s einen dicken Appell –«
»Und schön saubere, bescheuerte Statistiken«, schnitt Jens Siegbert das Wort ab. Er runzelte die Stirn, warf den Grashalm weg; plötzlich ernst. »Drei Jahre Asche … Leute, das kann was werden. ›Jeder männliche Absolvent unserer Schule verpflichtet sich zum freiwilligen Ehrendienst in der Nationalen Volksarmee‹«, äffte er Fahner nach.
»Ich nicht«, sagte Falk.
»Täte aber deinen Muskeln gut.«
Christian wunderte sich, wie kühl und gnadenlos Frauen sein konnten, zumal Reina Falk auch noch in den Oberarm kniff. Frauen, für die man schließlich alles tat, oh Helden in den Büchern, in den Filmen!, die einen beweinten, wenn man auf dem Feld der Ehre fiel, die auch schon vorher, am berühmten, vom Dampf der abfahrbereiten Lok überzischten Bahnsteig, taschentuchweise Tränen um den geliebten Mann vergossen – und dann diese Kaltschnäuzigkeit bei Reina, deren blasses, zartes Gesicht mit dem leicht nach links schiefen Mund er gern ansah –
»Mann, guckst du entsetzt«, registrierte sie und strich sich herausfordernd das Haar zurück, »sieht man selten bei dir. Ich muß richtig gut gewesen sein!«
»Krischan, die steht auch auf dich!« nölte Jens, wobei er Falk die Hand zum Abklatschen hinhielt.
»Zieh doch Leine, du Blödmann!« blaffte Reina zurück und warf jähzornig den Arm hoch. »Ich will mir doch keine Pickelvergiftung holen.«
Ein Stich mit einer Ahle, Siegbert und Jens musterten Christian, er hatte das Gefühl, daß sein Gesicht angezündet worden war, versuchte ein Lächeln.
»Meine Muskeln laß mal aus dem Spiel«, sagte Falk. »Ich werde mich nicht verpflichten. Drei Jahre … Da komm’ ich ja mit grauen Haaren raus. Und dann … Diese ganzen Panzer und Knarren … Ich schieß’ auf niemanden.«
»Laß das mal Häuptling Roter Adler hören«, sagte Reina leise, und Christian begriff, daß sie es zu ihm gesagt hatte, als eineArt Angebot im still gewordenen Kreis, das er ausschlug, weil er nicht einsah, warum er die Anstrengung aufbringen sollte, die Stille zu durchbrechen; er starrte auf die Bucht unter ihnen und überlegte, ob es sich lohnte, mit Ezzo und Meno hier einmal angeln zu
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