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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Röntgenbilder aus den Händen, stach mit dem Zeigefinger darauf herum und warf sie auf die Betten. Selbst die Patienten spürten die dicke Luft, lagen stocksteif, Arme an der Seite, lugten ängstlich zwischen Müller und dem referierenden Arzt hin und her. An einem Patientenbett befand sich in einer Glasente noch ein Harnrest. »Ist es den verehrten Damen Krankenschwestern, die für dieses Zimmer zuständig sind, nicht möglich, die Pisse aus den Schwenkern zu leeren, wenn der Chefarzt Visite macht? Was ist das für eineSchlamperei, Schwester Lieselotte?« Die Stationsschwester der Nord I wurde blaß. »Aber es gibt ja dieses Sprichwort vom Herrn und vom Gescherr«, fügte Müller hinzu. »Herr Wernstein findet zwei Patientenkurven nicht, Laborwerte fehlen, der Abszeß in der Zwo fiebert fröhlich vor sich hin … Was ist das für eine Bohememedizin in meinem Haus!?« Richard hob abwehrend die Hände. »Herr Professor, der Mann in der Zwo ist von den Anästhesisten zurückgestellt worden, wir kennen die Problematik, aber er steht unter Falithrom –«
    »Seit wann«, schnitt ihm Müller das Wort ab, »seit wann, Herr Hoffmann, hindert uns ein Mittel gegen Blutgerinnung, unserer chirurgischen Pflicht nachzukommen und einen hochreifen Abszeß aufzuschneiden?«
    »Herr Professor«, Trautson nickte Richard zu, »ich hatte im Dienst die OP angesetzt, aber der Kollege von der Anästhesie hat sich strikt geweigert –«
    »Dann machen wir die Anästhesie eben selber, verdammt noch mal! Ein Abszeß am Oberschenkel braucht keine Vollnarkose, und Sie werden mir doch nicht erzählen wollen, daß der Mann von einer Abszeßeröffnung verblutet!«
    »Wir riskieren eine Sepsis, wenn wir nicht operieren«, warf Kohler ein.
    »Na, dann tun Sie’s doch, Herr Kollege!« platzte Richard heraus. »Die Gerinnungswerte sind schlecht, und bisher haben die Antibiotika das Fieber beherrscht –«
    »Bisher«, sagte Müller. »Herr Hoffmann, ich bin unzufrieden, ich möchte Sie heute nachmittag sprechen.«
    Einen solchen Tadel am Leitenden Oberarzt, noch dazu vor allen Ärzten und Schwestern, hatte noch niemand erlebt. Richard kam sich wie ein Schüler abgeputzt vor. Der Troß zog auf die nächste Station. Trautson zog Richard beiseite. » Möchte wissen, was in den Alten gefahren ist. Der weiß doch ganz genau, daß die Anästhesisten recht haben. Und einen Zirkus macht er, weil zwei Kurven fehlen, dabei sind die doch schon im OP …« Trautson schüttelte den Kopf. »Prost Mahlzeit, da können wir uns auf was gefaßt machen. Ich würd’s an deiner Stelle nicht schwernehmen, Richard. Wer weiß, was in Wahrheit dahintersteckt.«
    »Herr Wernstein, kann ich Sie noch einen Augenblick sprechen?« fragte Richard. Sie gingen in den Aufenthaltsraum der Station. »Jetzt sagen Sie mir um Gottes willen, was Sie angestellt haben. Wenn ich schon für Sie Prügel beziehe, will ich auch den Grund wissen. Ich meine die Beschwerde von Herrn Kohler.« Wernstein erzählte. Es ging um Anspruch und Wirklichkeit, wie so oft, und um den stacheldrahtbestückten Zaun dazwischen. »Und dann habe ich ihm gesagt, er soll sich um seinen eigenen Kram scheren.«
    »Gesagt?«
    »– Mitgeteilt. Dieser Schlaumeier, wir wissen auch, was eine Sepsis ist!«
    »Und er?«
    »Daß er mich schon lange beobachtet. Ich sei ein Quertreiber.« »Und Sie?«
    »Daß der Quertreiber der Auffassung ist, daß vom Politschmus noch kein Patient gesund geworden ist.«
    »Hm.«
    »Naja, oder so ähnlich.«
    »Statt Schmus haben Sie«
    »– was anderes gesagt. Ja.«
    »Mensch, Wernstein, sind Sie denn verrückt geworden.« Richard stand auf und begann unruhig im Zimmer auf- und abzulaufen. »Sie wissen doch, wie der Alte zu Kohler steht. Und sonst.«
    »Weiß ich«, knurrte Wernstein. »Die mit ihrem verdammten Karl-Marx-Jahr.«
    »Die Frage ist, was wir jetzt tun. Die Beschwerde gegen Sie ist anhängig, wurde mir zugetragen. Kohler soll im nächsten Monat auf die Nord I wechseln, und Müller hat mit dem Chef der Orthopädie in Friedrichstadt gesprochen.«
    »Mit anderen Worten … Man will mich loswerden.«
    »Vielleicht nicht nur Sie, Herr Wernstein. Ich fürchte, daß ich Sie nicht decken kann. Ich schlage vor, daß wir erst einmal die Besprechung heute nachmittag abwarten. Vielleicht kann ich beim Rektor was erreichen.«
    »Entschuldigen Sie bitte, Herr Oberarzt. Und danke.«
    »Hauen Sie ab. – Operieren Sie gut.«
    Richard rief Josta an. »Hoffmann von der Chirurgischen Klinik.Frau

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