Der Turm
Genosse Rektor.« Scheffler hatte sich wieder Andropows Lächeln zugewandt und hob sanft, wie ein Dirigent bei einem »piano«-Einsatz, die Hand. »Oh, bleiben wir doch bei den akademischen Titeln, Herr Dozent Hoffmann, ich glaube, das ist Ihnen lieber. – Wissen Sie, daß Juri Wladimirowitsch«, er wies auf das Andropow-Bild, »ein Jazz-Liebhaber sein soll? Auch soll er mit Vergnügen westliche Filme sehen, und viel lesen. Ich habe ihn nicht darauf angesprochen, man muß nicht alles glauben, was in der Presse steht.«
Richard überlegte, in welcher Presse gestanden haben konnte, daß der Generalsekretär der KPdSU angeblich Jazz liebte und westliche Filme mochte. Im »Neuen Deutschland« bestimmt nicht. Josta brachte Kaffee – obwohl er abgelehnt hatte, waren es zwei Tassen – und Mineralwasser. Richard trank den Kaffee nun doch.
»Danke, Frau Fischer. Sagen Sie doch den Herren vom Ministerium, daß ich umgehend zurückrufen werde. – Übrigens haben wir uns auf deutsch unterhalten, er spricht es ziemlich gut. Orden kann er nicht leiden, glaube ich, es klirrte früher bedeutend stärker in den heiligen Hallen.«
»Magnifizenz, ich stimme Ihnen zu, auch die jüngeren Ärzte sollten sich stärker als bisher für Politik interessieren, es ist nur so, daß«
»– Herr Kohler Vorsitzender der Parteiorganisation der Chirurgischen Kliniken ist«, unterbrach Scheffler milde und kehrte zum Tisch zurück, »einer der idealistischen, heißspornigen, jungen Genossen, die nur Attacke kennen. Aber man sollte die Zweifler gewinnen, so wie Juri Wladimirowitsch es in seinem letzten Kommuniqué angedeutet hat.« Scheffler kritzelte etwas auf einen Zettel, zeigte ihn, gab ihn aber Richard nicht. Darauf stand: »Versprechen kann ich nichts. Aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich kein Karriere-Parteimitglied bin.«
»Ich danke Ihnen.« Richard erhob sich. Scheffler zerriß den Zettel in winzige Schnipsel und ließ sie in den Papierkorb rieseln.
Josta schrieb jetzt viele Briefe, sie kümmerte sich nicht darum, daß Richard sie aus dem vereinbarten Versteck – hinter einem losen Ziegel in den verzweigten unterirdischen Gängen derAkademie – nur unregelmäßig abholte; einmal fand er vier Briefe vor, die im Zeitraum von einer Woche geschrieben waren. Sie vermied es zu klagen und zu fordern, war um Alltäglichkeiten und kleine Zärtlichkeiten bemüht, aber Richard spürte, daß diese Munterkeit zu betont war, und machte sich Sorgen. Er schrieb ihr, daß er sie sehen wolle, an einem Donnerstag, bevor er ins Sachsenbad zum Schwimmen gehe, sie schrieb zurück, daß das nicht nötig sei, daß er recht habe, wenn er sie unbeherrscht genannt, und daß sie den Bogen überspannt habe. Sie sei zu ungeduldig und verlange zuviel von ihm, sie male zu viele Ängste an die Wand und gefährde dadurch ihre Beziehung, sorge durch ihre übertriebene Angst vor den Ängsten dafür, daß sie einträten wie bei einer »self fulfilling prophecy«. Er glaubte ihr den vernünftigen Ton nicht. Josta war vieles, vernünftig war sie selten. Die Sprache dieser Briefe schien eine Plane zu sein, dünn und aus angeblich feuerfestem Material, aber darunter warteten Brände auf das bißchen Sauerstoff, das genügen würde, aus dem verrückt schwelenden Weiß zwischen den Zeilen eine Lohe zu fachen. Einmal, an einem Mittwoch, fuhr er zu ihr und klingelte, aber sie öffnete nicht, obwohl er sich sicher war, in der Wohnung ein Geräusch gehört zu haben. Er schrieb ein paar Zeilen und schob sie unter der Tür durch. Im nächsten Brief warf Josta ihm vor, wie leichtsinnig er gewesen sei, gerade an diesem Tag habe sie den Schlüssel einer Bekannten gegeben, die auf Lucie aufpassen sollte, weil ihr Kindergarten sie eher nach Hause geschickt hatte; Daniel habe durch einen Zufall das Papier gefunden und an sich genommen, eigentlich war er nur hochgegangen, um sich eine Limonade aus dem Kühlschrank zu holen, ein paar Minuten später kamen Lucie und die Bekannte, die den Zettel bestimmt gelesen hätte. Aber dann hätte ich sie wahrscheinlich gesehen, dachte Richard, ich habe einige Zeit vor der Tür gewartet, und das Geräusch, das ich gehört habe, hätte Daniel gemacht. Hier stimmte etwas nicht. All das beunruhigte ihn, hinzu kam der Ärger mit Müller, der die Aussprache nachgeholt, dabei scheinheilig zuerst nach dem Querner-Gemälde gefragt und dann Richard noch einmal getadelt hatte, freilich nicht mehr für die unterlassene Operation – die
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