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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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reden sollten, wenngleich sie an ihrer Stelle sich keine besonderen Sorgen machen würde, dergleichen käme schließlich vor, und Fabian sei doch erst vierzehn oder fünfzehn, da sei noch nichts entschieden. Worauf Ina den Kopf über die Kompottschüssel senkte und prustete. Übrigens habe er auf seine Art Geschmack, desgleichen seine Schwester. Jetzt hob Fabian eine Hand, um vornehm den Kopf abzustützen, müde und elegant, während er mit der anderen seiner Schwester eine Raupe übergab und ihre Hand darüber schloß. Sie wollten Künstler werden; »Ja«, hatte Meno ohne zu lächeln Barbaras Augenrollen kommentiert, »dazu verleitet eine Jugend in lauter Aromen, Gesprächen über Chopins Nocturnes und Gedichte, davon träumt man nach der Lektüre einer Betrachtung von Hermann Hesse über Abendwolken im Tessin. Vielleicht spricht Hans auch zuviel über Giftpflanzen.« – »Aber Iris Hoffmann ist doch technische Zeichnerin bei Pentacon«, – »Naja«, hatte Ulrich auf den Einwurf Barbaras erwidert, »aber die Theaterabende bei ihnen haben was, das muß man ihnen lassen, und Schmusel in der Rolle der Beinah Stummen ist ja auch bloß zweimal steckengeblieben; toll, diese Abende, und gutes Bier!« Muriel saß mit übereinandergeschlagenen Beinen, sie trug Knöpfstiefel aus der Jugend von Lucie Krausewitz, gerettet aus dem Fundus des Alberttheaters, das bei der Bombardierung von Dresden zerstört worden war, dazu einen umgeschneiderten pfirsichgelben Zweireiher mit schwarzen Streifen, den Bunbury oder Maurice Chevalier in einer seiner Rollen getragen haben mochten, und ein weit in den Nacken geschobenes Barett, Hutmacher Lamprecht sagte dazu: Man trägt »auf Durst«. So gekleidet gingen die beiden auch zur Schule und bildeten das sonderbarste Gespann in Roberts Klasse; aber da sie Zwillinge waren und Muriel den Schulrekord im Sechzigmeterlauf und Fabian als Torwart der Handball-Mannschaft der Fürnberg-POS spektakuläre Siebenmeter hielt, ließ man sie in Ruhe. Und Robert berichtete, daß manche sie insgeheim um ihre Sachenbeneideten: Es war die Epoche der »Wisent«- und »Boxer«-Jeans, der Statussymbol-Klamotten »von drüben« oder aus dem »Exquisit«, dagegen behauptete das, was Fabian und Muriel trugen, eigentümliche Würde. Siegbert beobachtete die beiden, und sie beobachteten ihn; Fabians Blick blieb immer wieder an dem lila Knopf hängen, Siegberts an Muriels Haar, schwarzglänzend wie eine Feindrahtspule. Lange erzählte eine Schnurre aus seinem Seesack, es ging darin um eingeweckte Hortensien und ihre Eignung gegen Seekrankheit, worauf Siegbert zwischenwarf, das sei ihm neu.
    »Christian«, sagte Alois Lange, »sei so lieb, hol doch mal mein Logbuch aus dem Wintergarten. – Ich werde es Ihnen beweisen.« Lange hatte eine Viertelstunde mit Siegbert über Kreuzerklassen und U-Boot-Typen gefachsimpelt, zum Verdruß der Mädchen, sie hatten unterdessen Libussa bei der Bowle geholfen, die sie aus »Hortex«-Erdbeeren ansetzte; das Glas warf eine dunkelrote Schattenellipse auf den Eisentisch, die gärige Süße zog Wespen und Schwärmer an; Reina fürchtete sich vor den Hornissen aus dem Nest am Gartenhaus.
    Im Wintergarten saßen die Brüder Kaminski beim Schein einer Grubenlampe, sie unterhielten sich leise bei offenen Fenstern, rauchten, zeigten Christian ein freundliches Grinsen, auf das er nicht reagierte. »Hallo, wie geht’s Ihrem Studienwunsch? Suchen Sie was Bestimmtes?« Er sah, daß sie in Langes Logbuch blätterten, ging auf sie zu, ohne sie anzusehen, streckte wortlos die Hand aus.
    »Später, junger Mann, jetzt sind wir dran. Die Geschichten sind natürlich gewaltig übertrieben, sonst aber nicht schlecht, er sollte mit Ihrem Onkel sprechen.«
    Christian ging ans Fenster: »Herr Lange?«
    »Ach, so humorlos.« Sie gaben ihm das Buch. »Alles in Ordnung«, riefen sie in den Garten.
    Es klingelte bei Meno. »Oh, Besuch«, sagte Judith Schevola, als Christian die Tür öffnete. »Sie sind –«
    »Sein Neffe.«
    »Herr Rohde und ich – wir arbeiten zusammen. Er ist mein Lektor.«
    »Kommen Sie doch herein!«
    »Ich wollte nicht stören …«
    »Sind Sie nicht Judith Schevola?« Verena kam vom Haus, und als Schevola überrascht nickte: »Ich habe alles von Ihnen gelesen, schade, ich habe kein Buch dabei, sonst würde ich Sie um ein Autogramm bitten!«
    »Unten gibt’s Bowle«, sagte Christian.
    »Was wird denn gefeiert?« fragte Schevola, die den beiden folgte, »hat jemand Geburtstag?«
    Verena

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