Der Turm
die Hände abklopfte, dann zeichnete Heike noch eine Gloriole über ihn, vom Pferd gestoßene Ritter daneben, Verenas und Reinas Gesichter zwischenAutogrammverlangen und nahender Ohnmacht. Die Prüfungen in Geschichte und Geographie lagen hinter ihnen.
»Christian, find’ ich echt spitze von dir, daß du das mit deinem Onkel klargemacht hast«, sagte Reina. »Was hast du zur dritten Frage geschrieben? Die fand ich ziemlich beknackt, und ich weiß nicht –«
»He, nix mehr von der Penne, du wirst schon sehen, was du kriegst, kannst’s doch eh nicht mehr ändern.«
»Falk Truschler, hab’ ich dich nach deiner Meinung gefragt oder Montechristo«, gab Reina schnippisch zurück.
»Könnt ihr euch diesen blöden Spitznamen nicht mal abgewöhnen?«
»Meinen wir doch nett«, sagte Reina.
»Sieht gut aus, dein blaues Kleid«, sagte Falk, als Christian schwieg. Sie machten einen Umweg und gingen durch die Wolfsleite, Christian wollte Fabian und Muriel abholen; als er am »Wolfsstein« klingelte, öffnete niemand.
»Ich glaube, die sind schon gegangen«, sagte Herr Krausewitz, der beim Jäten war und einen Augenblick innehielt, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. »Wir werden einen Sommer kriegen, wie wir ihn lange nicht mehr gehabt haben«, sagte er mehr zu sich als zu Christian, »ich wette, der wird noch verrückter als der letztes Jahr. – Wohin soll’s denn gehen?«
»Zu Langes, wir übernachten beim Onkel.«
»Ist zum Verbandskongreß, hab’ ich gehört. Na, grüß mal von mir.«
Im Garten von Haus Delphinenort gab es einen Springbrunnen, ein steinerner Delphin reckte sich über der moosigen Brunnenfassung, ein Wasserstrahl kam aus seinem Maul und plätscherte ins Becken, das bläulich und schwankend die siebenfingrigen Blätter einer Kastanie spiegelte. Die Mädchen blieben stehen, hörten zu, Heike zeichnete die Volute über der Mauerkehlung, die von Sandsteinsäulen flankierte Tür mit der Bienenlilie obenauf, und Christian kramte in Geheimnissen über Frau von Stern, der ehemaligen Hofdame, die Kaiser Wilhelm noch gekannt hatte und den letzten russischen Zaren, schwärmte von ihrer Wohnung und den Andenken, als er merkte, daß er Eindruck machte; nur Verena blieb mißtrauisch und fragte, woher er die Wohnungkenne. Christian erzählte von den Abenden, wenn die Einladungen zu den »Soiréen« per Hand oder auf Schreibmaschinen geschrieben wurden, wenn man zusammenkam in den Wintern, wenn Eisblumen an den Fenstern wuchsen und Plisch und Plum in Hauschilds Kohlehandlung nur noch feuchte braune Brocken abwogen, mit denen man die Wohnungen nicht warm bekam; wenn man dann im Haus Zu den Meerkatzen, in der Tanzschule Roeckler, im Elefanten gegenüber vom Tausendaugenhaus oder bei Frau von Stern beisammensaß, einem Vortrag des Musikkritikers Däne über Webers Fagottkonzerte oder des Toxikologen Hoffmann über Vergiftungen lauschte; wenn man zu Schnittchen und Margonwasser die neuesten Gerüchte aus Stadt und Land besprach. Aber nur Reina hörte ihm noch zu, als er den Kopf hob, Verena war vor zu Falk und Siegbert gegangen, und Heike war vertieft in die Perspektiven eines Schuhs, der an den Resten seines Senkels in einem Rhododendron baumelte. Vor dem Italienischen Haus stand Ina mit einigen der »langhaarigen Typen«, über die sich Barbara beklagt hatte, einer hielt einen Stereorecorder am Ohr, aus dem zärtliche, brutale Musik dröhnte. Ina winkte. »He, Cousin, was machst du hier?«
»Prüfungen abfeiern. Wir wollen in den Bärenzwinger, können bei Meno übernachten. Was hört ihr?«
»Och, Bärenzwinger«, maulte einer der Langhaarigen, der Christians Sommeranzug abschätzig musterte. »Heißt Feeling B.« Der am Stereorecorder drehte lauter. Christian stellte vor.
»Tachchen, hübscher Mann«, sagte Ina heiter, »Siegbert ist doch mal was anderes, die meisten, die ich kenne, heißen Ronny oder Mike oder Thomas. – Deine Freundin?« Verena legte die Hände auf den Rücken.
»– Naja, vielleicht sehen wir uns noch. Ihr geht zu Lange? Ich mag den alten Zausel mit seinem Seemannsgarn, hab’ ihn schon ewig nicht mehr gesehen. – Bärenzwinger bringt’s heut’ wirklich nicht, wir wollen in die Paradiesvogel-Bar.«
»Wollen ist gut, reinkommen müßmer«, sagte der am Recorder und drückte auf Stop.
»Kriegen wir schon hin, laß Muttern ma’ machen. Ich kenn’ den Türsteher, muß ich eben ’n bißchen Bein zeigen. – Wenn du mitkommst, hübscher Mann, halt’ ich ’n Tänzchen
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