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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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offengelassen. Reina ging auf den Balkon, lehnte sich in die Kletterrosen, die am Spalier bis zum Wintergarten und den Fenstern der Kaminski-Zwillinge wucherten. In der Schreibmaschine steckte ein Blatt Papier: »Herzliche Grüße, fühlt Euch wie zu Hause. Falls jemand seine Zahnbürste vergessen hat: Es sind noch zwei neue oben im Badschränkchen. Glühbirnen (sollte eine kaputtgehen, passiert in letzter Zeit öfter) sind im Flurschrank. Handtücher und Seife habe ich zurechtgelegt. Falls nicht genug, fragt Libussa Lange. In meinem Bett könnten zwei schlafen; es sind Liegen unten im Schuppen, auch ein Aufpump-Frosch für Eure Luftmatratzen. Bitte Chakamankabudibaba nicht vergessen, Makrelen und Schabefleisch liegen im Kühlschrank, in der Zeitung mit dem lächelnden Generalsekretär. Gute Zeit! Meno Rohde.«
    Die Zehnminutenuhr schlug, Siegbert betrachtete die Gravuren auf dem Sternkreis, Verena studierte die Titel in den Bücherregalen, Falk linste durch das Mikroskop.
    »Schade, daß wir deinen Onkel nicht kennenlernen«, sagte Verena. »Tolle Bücher.«
    »Guckt euch mal die Dielen an«, Heike zeichnete schon wieder: Maserungen der Lärchenbretter, Astaugen, Sonnenkleckse.
    »Ich glaube, sie erwarten uns«, rief Reina. Als Christian hinaustrat, sah er Libussa am Gartenhaus winken. Er hielt beide Hände hoch, zehn Minuten, Libussa nickte. Reina beugte sich über die Brüstung, Christian war verwundert über die vielen Sommersprossen auf ihren Armen.
    »Bist du oft hier?« Sie sah ihn nicht an, schirmte mit der Hand die Augen ab, wies auf einen in Blaßbläue schwimmenden Berg in der Ferne.
    »Der Wilisch«, sagte Christian. »Nicht mehr oft.«
    »Tut mir leid, das von damals am Kaltwasser.« Sie drehte das Gesicht weg, an ihrem Hals war eine Narbe.
    »Woher hast du das?«
    Reina wischte das Haar darüber. »Unfall.«
    »Warte mal –« Er pflückte eine Heckenrose und steckte sie ihr ins Haar. Die Rose hielt nicht, er versuchte es noch einmal. Dann erschrak er, sah auf die Stadt, die Elbbiegung vor Blasewitz, einSegelflugzeug kreiste langsam in der Thermik. Reina sagte nichts; er ging wieder ins Zimmer.
    »Ist das dein Onkel?« Verena und Falk standen vor den Fotos und wiesen auf das von Kurt Rohde und Meno beim Botanisieren.
    »Mein Großvater. Der Junge ist mein Onkel.« Er nahm das Foto von Hanna. »Seine geschiedene Frau, meine Tante Hanna. Und auf dem hier meine Mutter, Meno, und mein zweiter Onkel, Ulrich. Der Vater von Ina, die wir vorhin getroffen haben. – Wenn ihr Lust habt, zeig’ ich euch das Haus.«
    Aber er erzählte nichts vom Dschinn, als sie durch den Korridor liefen, nichts von den Geheimnissen des Flurläufers und den bleiigen Schatten, die im Spiegel abends auftauchten, wenn Menos Wohnzimmertür geöffnet war. Heike fand den Tukan »urst«. Die Zehnminutenuhr schlug.
    »Wir sollten runtergehen.« Christian sah, daß der Schlüssel zur Tür in der Salamandertapete nicht steckte. Verena wich seinem Blick aus, er entschied, nichts von der Wendeltreppe und vom Wintergarten zu sagen, nichts von den Fotos; freilich schienen Falk und Siegbert sie entdeckt zu haben, denn sie riefen von der Treppe den anderen zu, das müßten sie sehen. Reina war noch im Wohnzimmer geblieben.

    Fabian und Muriel saßen zwischen Windlicht und Papiermond vor den Heckenrosen, die an dieser Stelle von den anderen Gartengerüchen nichts übrigließen; die beiden hatten sich wohl mit Bedacht dorthin gesetzt, Libussa und Alois Lange, die sie kannten, gegenüber, denn solange sich Christian erinnern konnte, hatten ihre Gesten zueinander etwas Zeremoniöses, ausgesucht Liebevolles, das sie fremden und eilig beobachtenden Menschen nicht für kurze Urteile überlassen wollten. Wenn er Fabian sah, die Locken und die eigenartigen Hemden, die er bevorzugte: mit Rüschen besetzt und mit viel zu langen Manschetten, die er wie Stulpen umschlug, dachte Christian: Jetzt fehlen ihm noch Haarbeutel und ein Degen an der Seite, dazu ein betreßter Dreispitz, und er wäre ein Vicomte, entstiegen einem der nach Parfum und Gift duftenden Briefromane der Empfindsamkeit; Barbara war an einem ihrer Sonntags-Mittagstische nachdenklichgeworden, weil Inas Miene sich bei Fabians Namen verdunkelte, hatte »enöff« gesagt und daß Fabian ihrer Meinung nach »auf der anderen Seite« sei, worauf seine Hemden – Theaterfundus, Kostümverleih –, mehr als nur einen vorsichtigen Hinweis gäben, und sie finde auch, daß seine Eltern mit ihm darüber

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