Der Turm
redete begeistert auf sie ein, nun war es nichts mehr mit Langes Seemannsschnurren, er machte eine heiter resignierende Bewegung. Siegbert und er zogen sich mit Logbuch und Windlicht zurück, bald tasteten sich die Rauchspindeln des Kopenhagener Vanilletabaks zum Eisentisch, wo die anderen saßen und Schevola mit Fragen bestürmten.
»Wie läuft denn so ein Kongreß ab?«
»Wollen Sie das wirklich wissen?« Schevola lächelte. »Laberlaber …«
»Kommt mir bekannt vor.«
»Und: geifergeiferzischelzischel. – Was lesen Sie denn am liebsten?«
»In der Schule? ›Die Abenteuer des Werner Holt‹«, rief Siegbert herüber. »Das ist endlich mal ’n Buch, das Spaß macht.«
»Dachte ich mir. Und ›Die Aula‹?«
»Verlogene Scheiße!«
Sie lachte. »Das war deutlich.«
»Und Sie sind ’ne richtige Schriftstellerin?« wollte Reina wissen. »Ich schreibe Bücher, ja. Aber ob ich ’ne richtige Schriftstellerin bin … Manchmal denke ich, ich werde nie eine.«
»Also mir haben Ihre Bücher gefallen«, sagte Verena. »Man kann sich so richtig reinversetzen, und die Menschen bei Ihnen … die sind wie lebendig. – Ich glaube, Sie lieben sie sehr, sogar die unangenehmen«, setzte sie leise hinzu. Schevola kramte in ihrer Handtasche, fischte eine Zigarettenschachtel heraus. »Darf ich?« fragte sie Libussa.
»Aber ja, Kind. Meno viel hält von Ihnen, und glauben Sie mir, er hat Meinungen zu Autoren.«
»Kann ich mir denken.«
»Haben Sie oft«, Verena zögerte, »ich meine … Sie sind dochso erfolgreich, meine Schwester ist in einer Bibliothek, und Ihre Bücher werden häufig verlangt, und alle, die ich kenne, mögen Sie –«
»Selbstzweifel? – Ja, die habe ich. Das sind so Heimsuchungen, da hilft kein Erfolg und kein Lob. Wissen Sie … Ach was, darf ich du sagen? – Abends ist man allein in seiner Stube, und die großen Autoren, die Meister, schauen einen von den Wänden an, ihre Bücher schweigen in den Regalen, und man sitzt über seinem Blatt und kritzelt vor sich hin –«
Verenas Gesicht erhellte sich. »Sie sind mir sympathisch, darf ich Ihnen das sagen? Und ich dachte, man hat immer bloß allein solche Gedanken.«
Schevola warf ihr einen Blick zu, blies Rauch zum Papiermond. »Schön hier.«
»Manchmal denke ich, das ist Eichendorffs Garten«, sagte Christian. Schevola lächelte. »Der aus dem Taugenichts, bei Wien, das Schloß der Gräfin, Raketen steigen, und es war alles, alles gut?« Ina kam, man sah ihr schon von weitem an, daß sie frustriert war. »So ’n Mist, wir sind nicht reingekommen. War ’n anderer Einlasser heute. Und wißt ihr, wer spielt? ›Neustadt‹!«
»Ich denke, Auftrittsverbot?« fragte Libussa.
»Deshalb ist’s ja heut’ so voll.«
»Geht’s um die Paradiesvogel-Bar?« fragte Schevola. Und als Libussa nickte: »Kann ich mal Ihr Telefon benutzen?« Schevola drückte die Zigarette aus und ging mit Christian nach oben. Nach fünf Minuten kamen sie wieder. »Wie steht’s? Wer kommt mit?«
»Mensch, wie haben Sie das hingekriegt!« staunte Falk.
»Vitamin B. Also?«
Ladislaus Pospischils Paradiesvogel-Bar zehrte von früherem Ruf. In den sechziger Jahren hatte Verruchtheitsglanz über der parkettierten Tanzfläche gelegen, die Bands mit braven Namen, schlaksige Jungs in krokodilgelben Schuhen und Anzügen aus dem »VEB Herrenmode«, beglaubigt von Spaghetti-Krawatten, mit Bill Haleys und Elvis Presleys brandstiftender Musik bespielt hatten, nach zwei, drei Nummern zeigte die Spiegelwand nur noch Farbschlieren und die Umrisse von Körpern, schwitzteunter »Karo«-Rauch und den Ausdünstungen von fünfhundert kreischenden und abhottenden Gästen, Kondensfeuchtigkeit und warmem, mit dem Finger umgerührtem Schampus. Billiges Bier wurde schal neben aufgeregten Gesprächen über Tischtelefone, auf denen rote Lämpchen funkten. In der Herrentoilette standen Gläser mit Zuckerwasser für ramponierte Entenschwanz-Frisuren, zwischen den Spiegeln hing eine Warnung vor Geschlechtskrankheiten, und Pärchen, die zwei Stunden am selben Cocktail tranken, wollten überwiegend zuhören. Vertreter der Ordnung und Rebellen hatten einander über Sprelacart-Tische hinweg feindselig gemustert, manche Dresdner Ehe war vom Zigarettengeist in den Séparées gestiftet worden, die man mit Vogelvorhängen Taschkenter Weber schließen konnte. Seit der Verstaatlichung war es bergab gegangen, Pospischil war Leitender Angestellter, nicht mehr Besitzer; der Schmugglerhöhle im Hotel Schlemm
Weitere Kostenlose Bücher