Der Turm
für dich frei.«Siegbert setzte sein unergründlichstes Lächeln auf. Falk hob die Hand, aber einer der Langhaarigen drückte sie herunter: »Sie sagt: Für ihn, nicht für dich. Klaro?« Falk blies die Backen auf. Christian hörte im Weitergehen Gelächter und »Dorfschnösel« und »Mann, guck dir den an, selbstgenähte Klamotten«, Siegbert, der ein paar Schritte vor Christian lief, drehte um. »Stört dich das«, er zog den überrascht Ächzenden am Haar zu sich heran, mit der freien Hand griff er das Ohrläppchen und schraubte es zusammen, der andere ging in die Knie, Siegbert gab ihm eine Ohrfeige. Es war schnell gegangen; Ina fing sich als erste: »He, war nicht so gemeint. – Wirst mir immer sympathischer, hübscher Mann.« »Blöde Zicke«, giftete Verena, die neben Christian getreten war. »Sind alle deine Verwandten so arrogant?« Ina schwieg, schätzte sie ab von oben bis unten, Sekunden, in denen sich die beiden Gruppen feindselig musterten. »Cousin, die wär’ richtig«, Ina prustete los, es war kein bösartiges Lachen, es wirkte wie eine Wassergarbe, die man an einem heißen Tag aus einem zugehaltenen Gartenschlauch sprühen läßt, die Langhaarigen lachten ebenfalls, selbst Reina und Falk. Siegbert zuckte die Achseln, Verena und der Geohrfeigte lachten nicht. Er begutachtete seine Hosen, schaltete den Recorder wieder ein.
»Tut mir leid«, versuchte Christian, als sie auf die Mondleite kamen, »sie ist so.« Er nickte Siegbert zu: »Und das mit deinen Sachen ist nicht ihre Meinung, ihre Mutter näht auch selber. Ich wär’ froh, wenn ich’s könnte«, fügte er hinzu, Siegbert reagierte nicht.
»Wir müssen auf Heike warten, unser Bummelkind.« Reina war gehässig: Heike hatte nichts mitbekommen und wunderte sich, daß die anderen Blicke wechselten.
»Wie steht’s mit deiner Bewerbung? Wann erfährst du, ob sie dich genommen haben?«
Heike blinzelte Falk zu, rollte die Schultern, blies eine Locke beiseite: »Weiß nich.«
»Was mußtest du malen?« fragte Verena.
»’n Latsch –« Sie blätterte im Skizzenblock und zeigte den Schuh, den sie im Rhododendron entdeckt hatte. »Sie wollten alle möglichen Perspektiven haben. War blöd, aber int’ressant.« Der Skizzenblock ging reihum, sie bewunderten den streng naturalistischdargestellten Schuh. In der Vorderansicht hatte er blaue Augen. Siegbert lief jetzt ein Stück vor ihnen. Christian schloß die Augen und öffnete sie abrupt, als wären sie die Blende einer Kamera, als wollte er Schnappschüsse von Siegbert im Gedächtnis behalten: ein schlanker junger Mann in heller Kleidung, die ein Schiffsoffizier oder Teilnehmer von Louis Alvarez’ entomologischen Expeditionen hätte tragen können, wären nicht die seltsamen Details gewesen: am linken Hosenbein, in Wadenhöhe, hatte Siegbert einen lila Knopf angenäht, unter den Achseln Dreiecke aus grünem Stoff, und quer über den Rücken des Jacketts lief ein Reißverschluß. Augen auf-zu, auf-zu, innen waren die Lider orangefarben, Christian sah Siegbert, der einen Stein wegkickte, Siegbert, der den Kopf hob, als von der Elbe die Sirene eines Schleppers herüberdröhnte, Siegbert, der einen vom Winterfrost runzligen Apfel mit einem Knüppelwurf vom Ast pflückte und ihn Verena zuwarf; Siegbert und Verena, die neben ihm ging und den Apfel nach einem Biß auf einen Zaun legte, sich zurückfallen ließ zu Reina und Falk, wieder vorlief und die Straße durch ein Monokel mit grünem Glas betrachtete, das sie an einer Schnur um den Hals trug. Im Elefanten waren die Fenster geöffnet, Frau Teerwagen stellte eine Bowleterrine auf den Balkontisch. Dr. Kühnast wusch seinen Škoda. Heike betrachtete kopfschüttelnd die über und über erblühten Rosenhecken des Tausendaugenhauses.
»Was ist?« fragte Christian, klingelte bei Langes, denen Meno den Schlüssel gegeben hatte.
»Nee, nee, das mal’ ich nicht, das ist ja Kitsch«, entschied Heike.
»Wenn’s aber da ist?« spöttelte Falk.
»Das da ist da«, Heike wies auf die Blutbuche, die wie eine Rostlunge atmete.
Langes hatten im Garten gedeckt, im verwilderten unteren Teil wie in jedem Sommer den runden Eisentisch aufgestellt, der im Gartenhäuschen neben Blumentöpfen, Hackklotz und Sägebock, Gärtnerutensilien überwinterte; der runde Eisentisch, an dem der Schiffsarzt und Meno und manchmal Libussa und Niklas Tietze erzählten.
In Menos Wohnung roch es nach Büchern, Tabak und Pflanzen.Er hatte die Spitzbogentür für Chakamankabudibaba
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