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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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jetzt reiche es ihm, er lasse sich von so einer verdammten Kokosnuß nicht kleinkriegen, und wenn er mit dem Moskwitsch drüberrollen müsse! Richard hat keinen Vorschlaghammer. Weder die Stenzel-Schwestern noch Nachbar Griesel verfügen über dieses gewichtige Argument, André Tischer aber über einen Schneidbrenner, den Ulrich als letztes Mittel der Kokosnuß androht, Richard hat einen Schraubstock. Sie drehen, bis sich die Spindel biegt. Die Nuß, ein harter Schädel, denkt nicht ans Aufgeben. »Wir könnten das Ding vom Balkon auf die Gehwegplatten schmeißen, mit Schmackes!« – »Da springen doch die Trümmer sonstwohin, und ich möchte, nein: Ich will! Schnorchel, einmal in meinem Leben so was getrunken haben! Stell dir mal vor, da ist noch Milch drin – und dann auf den Gehwegplatten!« Sie versuchen es mit einer Säge, aber die faßt nicht, rutscht auf der glatten Oberfläche immer wieder ab. »Kann sein, die hat ’nen Schraubverschluß, und ihr seht ’n bloß nich«, wagt Robert anzumerken.
    Der Sommer kam. Die 12. Klassen hatten Abiturprüfungen. Fahnenappell: Alles Gute für Ihren weiteren Lebensweg in unserer sozialistischen Gesellschaft! Blumen, Händeschütteln, noch einmal ein gemeinsamer Discobesuch, Suff und Zigaretten, abhotten.
    Muriel wurde in einen Jugendwerkhof eingewiesen. Sie war verwarnt worden und hatte dennoch im Staatsbürgerkundeunterricht immer wieder ihre Meinung gesagt.
    Hans und Iris Hoffmann wird Versagen bei der Erziehungsarbeit vorgeworfen, das Erziehungsrecht aberkannt. »Das Ziel der Umerziehung in einem Jugendwerkhof besteht darin, die Besonderheiten in der Persönlichkeitsentwicklung zu überwinden, die Eigenheiten im Denken und Verhalten der Kinder und Jugendlichen zu beseitigen und damit die Voraussetzungen für eine normale Persönlichkeitsentwicklung zu schaffen«, sagt die Richtlinie.

II. Buch:
Die Schwerkraft

37.
Abend im Haus Eschschloraque
    Ruckend und knirschend, erhellt vom funzeligen Licht der Bergstation und einiger Lampen im Wageninneren, setzte sich die Schwebebahn in Bewegung, sank aus der Haltebucht heraus ins Freie und an einer Schiene unter den hufeisenförmig gebogenen Stahlträgern dem Tal zu. Es war ein kühler Spätherbstabend. Judith Schevola fror im dünnen Mantel, Philipp Londoner hatte ihr seinen Schal geliehen, den sie wie einen Spanischen Kragen um den Hals gewickelt trug, so daß nur die Nasenspitze und ihre kalt beobachtenden Augen hervorlugten; tief in die Stirn gezogen, ließ eine überdimensionale flache Mütze, wie sie UFA-Stars zu Knickerbockern getragen hatten, ihren Kopf einen Fledermausschatten werfen.
    »Wenn mich der Posten oben noch mal nach meinem Ausweis gefragt hätte –«
    »– wären Sie explodiert.« Schevola zog den Schal herunter, streifte Philipp mit einem spöttischen Blick. »Vermutlich hat er Ihnen das angesehen, und deshalb wollte er nichts riskieren. Wer weiß, vielleicht häuft sich das in letzter Zeit bei denen, die von Barsano kommen.«
    »Sie tun das ab, als wäre es nichts. Barsano hat das Papier nicht mal angeschaut. Als bekäme er so etwas inzwischen täglich. Gelächelt hat er und aufs Büfett gezeigt, wie … wie ein Spießer. Und du«, er nickte Meno zu, »hältst dich immer schön zurück, schweigst und ziehst den Kopf ein, wenn einer deiner Vorgesetzten –«
    »Philipp, du weißt genau, daß du Unsinn redest«, fiel ihm Meno ruhig ins Wort, »und was soll ich zu deinen Thesen und Zahlen schon sagen? Ich kenne sie ja nicht mal.«
    »Ich muß ihn verteidigen. Er hat sich für mein Buch ganz schön ins Zeug gelegt, und nur, weil Redlich ihn unterstützt hat, macht das seinen Mut nicht kleiner. Sie sind brachial dazwischengeplatzt mit Ihrem Positionspapier.«
    »Papperlapapp, dazwischengeplatzt! Jetzt will ich Ihnen mal was sagen. Das Treffen war eigentlich angesetzt, um Fragen zu besprechen, wie sie im Papier des Instituts aufgeworfen werden. Was ihr Literaten da zu suchen hattet, ist mir einigermaßen schleierhaft; vielleicht hat er euch sogar nur aus Feigheit eingeladen, als Alibi … Denn irgendeiner seiner Sekretärs-Lurche wird ihn auf das Thema vorbereitet haben.«
    »Philipp«, Meno nickte warnend in Richtung Schaffner, der reglos vor dem Bedienpult am anderen Ende des Wagens saß. Philipp blieb unbeeindruckt. »Schön, sind sie eben keine Lurche, sondern Schleimschwänze, Quallen! – Übrigens ist das eine typische Antwort: Kenn’ ich nicht, versteh’ ich nicht, legen Sie das den zuständigen

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