Der Turm
des Mongolen): Das Paket über mich abmelden. Name? – Christian Hoffmann. – Was haben Se gelernt? – Nichts. Abiturient. – Hm. Was machen die Eltern? – Vater Arzt, Mutter Krankenschwester. – Hm. Hobbies? – Lesen, Angeln, Kunst, Geschichte. – Kein Sport? – Schach. – Wohl Witze machen, was? schnarrt der Mongole. – Wenn Se’s über die Leine machen, Rehnsen, kann’s anstrengend sein, sagt Fisch. Wer’n Se zu tun ham hier, sagt er zu mir. Zart’s Blümelein will begossen sein. Unterfeldwebel Glücklich! (Herein tritt der Mann mit dem Schrei nach der Tasche) Kleiden Se’n ein! Glücklich brüllt, ich soll mein Gesumms zusammenpacken: Vorwärts, vorwärts, Sie sind hiernich im Kindergarten! Glücklich hat braune, gummiartig straffe Haut und sieht aus wie ein Inka, mit den Spitznamen waren wir Schüler (genannt auch »Tagesäcke«, »Lappen«, am besten finde ich das schlichte »Möbel«: Sie Möbel, brauchen wohl bißchen Politur, was?) uns ziemlich schnell einig. Inka stößt eine Tür schräg gegenüber dem Flurtisch auf: Ihre Stube! Tasche rin! Wir gehen zu einer anderen Tür, die er zärtlich aufschließt: die Kleiderkammer. Er klappt ein Brett vor, wirft mir eine Panzerhaube, ein verschweißtes Paket, eine Feldflasche, Unterwäsche, zwei braune Frotteehandtücher plus weißes Leinenhandtuch, Militärsocken, einen olivgrünen Wollpullover, Gasmaske, Stahlhelm, Schutzanzug und zwei Feldtaschen zu. Hemd aus, grünen Pullover an! sagt er zu mir, dem Möbel mit zwei Armen. Komm’ Se komm’ Se, stehn Se nich so rum, Sie sind hier nich zur Mast! Schnappen Se sich Ihren Kram und treten Se auffe Stube wech! Wenn einmal gepfiffen wird, treten Se raus! Die Stube (Nr. 227): klein, hell, ein großes Fenster gegenüber der Tür, ein Tisch, vier Schemel, an der linken Wand zwei Doppelstockbetten aus Stahl mit blauweiß gewürfelter Bettwäsche und einer Graudecke am Fußende, rechts vier altersbraune einfache Spinde, neben der Tür ein Besenspind. An einem Spind kein Namensschildchen; wir waren also nur zu dritt auf der Stube. Ich sah aus dem Fenster: ein trüber Abend, unten die Objekthauptstraße zum KDL, unter dem Fenster ein Rasenstreifen, hinter der Straße eine Reihe Wellblechschuppen. Rechts biegt die Straße aus meinem Blickfeld, am Scheitel steht ein Postenhäuschen an einem Ausfallstor mit Schranke, daneben ein Wachgebäude mit dem Schild »OvP« (Offizier vom Park / Technikpark). Hinter dem Stacheldrahtzaun das Braunkohleland. Ich schloß das Fenster, schaltete das Licht ein. Meine Sachen lagen noch genauso da, wie ich sie vor dem Einkleiden abgelegt hatte. Ich wollte sie aufräumen, wußte aber nicht, ob das Zweck hatte. Nach einiger Zeit hörte ich Schritte: die anderen kamen. Scharf der Pfiff: Alles raustreten!
Die Kameraden stehen vor Unterfeldwebel Glücklichs Kleiderkammer Schlange. Er wirft ihnen die Sachen ins Gesicht, brüllt Der Nächste, der Nächste, machen Se mal ’n bißchen Qualm! Der Mongole schreitet die Front ab: Mal herhörn! Im Anschluß wird jedem seine Stube und sein Spind gezeigt. Sie stellen dieSachen nur vor dem Spind ab und treten nachher sofort wieder so an, wie Se jetzt stehn. Unterfeldwebel Glücklich, fangen Se an! Unterfeldwebel Glücklich zieht einen Zettel aus der Brusttasche und brüllt: Erster Zug, erste Gruppe – Schnack, Krosius, Lahse: 225! Müller, König, Zwieback (hier stutzt er, wechselt einen Blick mit dem Mongolen: Zwieback!? – Es meldet sich einer: Hier! – Sagt Inka: Frisch geröstet, was! Prost Mahlzeit!), Reß: 226! Hoffmann, Irrgang, Breck: 227! Erster Zug, zweite Gruppe …
Bin zu müde, muß erst mal Schluß machen. Bald mehr. Herzliche Grüße – von Eurem Christian
AZ Q/Schwanenberg 11. 11. 84
– weiter. Maskenball, wie die Einkleidungszeremonie hier genannt wird. Pfiff: Alles raustreten! Der Mongole hat die rote »UvD«- (Unteroffizier vom Dienst) Binde am Arm. Sie werden jetzt unter der Leitung von Unterfeldwebel Glücklich rüberrücken in die Zentrale Regiments-B/A-Kammer (B/A: Bekleidung/ Ausrüstung) und dort Ihre restlichen Sachen empfangen! Sobald Sie fertig sind, komm Se selbständig in die Einheit zurück! Unterfeldwebel Glücklich: übernehmen! Abrücken!
Im Laufschritt: marsch!
Vor der Regimentsbekleidungskammer, einer orangefarbenen Wellblechhalle, warteten Hunderte Unteroffiziersschüler. Im Eingang Lichtschein, der nur die Vordersten beleuchtete. Regelmäßig streiften die Scheinwerfer der Wachttürme über die
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