Der Turm
Uffz.-Schüler vergasen. Zurück in die Kompanie. Pfiff: Nachtruhe einhalten! Inzwischen ist es dreiviertel sechs. Bis wir uns gewaschen, die Schlafanzüge angezogen und uns in die Betten fallengelassen haben, ist es vier Minuten vor sechs. Um sechs pfeift Inka: Vierte Kompanie – aufstehen! Nachtruhe beenden! Das war der erste Tag. Heute ist Sonntag, es gibt etwas Freizeit. Viele Grüße! Euer Christian
AZ Q/Schwanenberg, 12. 11. 84
Liebe Eltern: Das Paket mit meinen Zivilsachen müßte inzwischen bei Euch eingetroffen sein? Habt doch da bitte ein Auge auf die äußere Verpackung, es ist ein Zettel in einer ihrer Falten versteckt.
Heute war unser »Faschingsanfang«. Um 5 Uhr wurden wir geweckt, danach die üblichen 10 min Zeit für Waschen, Anziehen, Sachen zurechtlegen, In-Reih-und-Glied-Stehen. Abmarsch, Ziel unbekannt. Wir marschierten im Geschwindschritt eineStraße entlang, plötzlich wurde befohlen »Gas!« (Schutzmasken auf, und da blieben sie 3 km lang). Wir waren von oben bis unten beladen mit: Gewehr, Gurtriemen (mit Gurtriemen beladen, haha, lieber Pa, hast Du mir nicht gesagt, ich solle nicht übertreiben, das wäre undresdnerisch? Herr Orré hat uns das auch beigebracht, frag Ezzo), Feldflasche, Bajonett, Tragetasche, Munitionstasche. Nach den 3 km fielen manche einfach um. Doch das war erst der Beginn der Ausbildung; es kam 1. das Bewegen im Gefechtsfeld: Eineinhalb Stunden lang robbten, krochen und sprangen wir über Schlammacker (es nieselte den ganzen Tag) und waren durchgefroren like storks, klapperklapper. Es folgte 2. das Tarnen. Das bedeutete, daß man eine Zeitung verbrennen mußte, um sich mit der Asche das Gesicht und den Hals zu beschmieren, eine Schweinerei. Dabei ebenfalls Robben, Kriechen etc. Bei mir starke Gelenkschmerzen durch anhaltenden Bodenkontakt. (Ist aber inzwischen nicht mehr anhaltend, der Bodenkontakt.) Dafür das Gesicht schön schwarz. Die Kleidung war kalt wie das kalte Herz und mit Dreck geradezu imprägniert. Aber es folgte 3. das Ausheben einer Gefechtsstellung. Liegend mußte man innerhalb von 30 min ein 1,80 m langes, 60 cm breites und 50 cm tiefes Loch ausheben, das eine bestimmte Gestalt aufzuweisen hat. Kein Zuckerschlecken mit dem schweren Gepäck. Beim Schützenmuldenbuddeln dachte ich, daß Totengräber kein leichter Beruf ist.
Der Nachmittag war ausgefüllt mit Waffenreinigen, Sachentrocknen und –ausbürsten sowie dem üblichen Hin- und Hergehetztwerden. Jetzt sitze ich beim Schein der Taschenlampe (es ist Nachtruhe) und schreibe; meine Zimmergenossen tun es ebenso. Die Nachtruhe ist die einzige Tageszeit, zu der man nicht ständig herausgepfiffen wird. Leider ist sie allzu kurz: Es winkt schon wieder der Frühsport, 3000 m in vollständiger Uniform. Ich habe jetzt fortwährend Herzschmerzen und Schwindelgefühle. Kann aber Einbildung sein. Wenn Stahlhelmtragen befohlen ist, bekomme ich von diesem Monstrum bald Kopfschmerzen. Die denke ich mir dann einfach weg (man muß ja nicht viel denken beim Marschieren).
13. 11. Leichte Taucherausbildung für uns, die 4. Kompanie. Im Laufschritt: marsch! zur Objektschwimmhalle (so heißt dashier); wir entkleideten uns, saßen 4 Stunden am kalten Beckenrand. Dann bekamen wir eine Atemmaske und eine klitschnasse, schwere Uniform übergestreift und mußten, vollständig vermummt in diesem ekelhaften Zeug, eine Viertelstunde ums Becken spazieren. Das ist eine Viertelstunde Nach-Luft-Ringen. Dann ab ins Wasser, das eiskalt war. Ließ man in den Atemschlauch etwas Wasser dringen (man brauchte nur zu lächeln), konnte man auch ertrinken, trotz Sicherheitsleine, denn die Kleidung war schwer, außerdem trugen wir Bleiplatten an den Füßen, so daß die Ausbilder einen wohl nicht so schnell aus dem Becken hätten ziehen können (es war etwa 6 m tief ). Na ja, vielleicht wäre man auch nicht ertrunken. Der Anblick unter Wasser war grotesk, wie große schwarze Embryos an langen Nabelschnüren hüpften wir auf dem Bassingrund umher, ich kam mir vor wie ein junger Hund, den man zu irgendwelchen Apportierkunststückchen abrichtet.
Wie geht’s Robert auf der EOS? Wie ist seine Deutsch-Hausarbeit ausgefallen? Hat es bei Reglinde geklappt mit einer Kantorenstelle? Hier gibt es eine MHO (Militärische Handelsorganisation, die sonntags für Unteroffiziersschüler geöffnet hat), da habe ich Dachpappe gesehen, könnt Ihr Tietzes sagen. Niklas wollte doch das Leck überm Musikzimmer abdichten. Wenn ich sie schicken soll, müßte er
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