Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
Vom Netzwerk:
Schlange, die den ganzen Exerzierplatz umrundete. Es war still, die meisten schienen ihren Gedanken nachzuhängen (sofern sie welche hatten). Aus dem Inneren der Halle drang Lärm, ein Klopfen, Scheppern, Dröhnen, Brummen und Summen, hin und wieder Fetzen des Radetzkymarsches, Lautsprecherübersteuerungen. Schlangenschlucker, dachte ich, die Halle ist ein riesiger offener Rachen, der unsere Schlange schluckt. Einzelne Punkte dieser Schlange machten Kniebeugen, andere hüpften auf und ab, die Raucher unseres Zuges, der ganz hinten eingereiht war, klickten ihre Feuerzeuge und hielten sich die Flammen gegenseitig an die Hände; der Armeepullover wärmte kaum, und bis wir die Halle betraten, vergingen mehr als zweiStunden. Drinnen roch es nach Waschpulver. Der Lärm hieb auf die Ohren, es waren auch Geräusche da wie von Boxhandschuhen auf Sandsäcke, dieses weiche rieselnde Nachtaumeln. Meterhohe Stahlregale, kleine Scheinwerfer daran, immer in Bewegung komischerweise, als wären sie Fliegende Untertassen oder Kreisel. Das Licht bewegte sich nicht im Takt zum Radetzkymarsch, den sie über Tonband abspielten, manchmal geriet es ins Leiern und Holpern, wie wenn ein Zündschlüssel ein widerspenstiges Auto anzuwerfen versucht, dann dachte ich an Muskelfleisch, ein ewig Klimmzüge machender Bizeps, dem allmählich die Fasern springen. Die Stahlregale winklig und unübersichtlich aufgestellt, vollgestopft, soweit ich erkennen konnte, mit Uniformen, Stiefeln, Zeltbahnen, Koppeln, Käppis, neben einem Bündel Koppel lag eine Packung Brausepulver, die ich mir einsteckte. Vor jedem Regal ein Tisch, auf den die Sachen von herumkletternden Gehilfen geworfen wurden, nachdem man ihnen die Bekleidungsgröße zugeschrien hatte. Einkleider rannten hin und her. Immer Schübe zu viert: Wir wurden vor das Stiefelregal geschubst, hier hing ein Pappschild: STATION 1. Der Einkleider flüsterte (so sah es aus, ich konnte nichts verstehen, weil ein Radetzkymarsch-Lautsprecher direkt über uns hing), ich brüllte meine Schuhgröße zurück, er kraxelte, schwitzend und hochrot, auf eine Leiter und schmiß mir zwei Paar Stiefel an den Kopf. Mein Bettnachbar Irrgang wies nach oben: Da hingen Badewannen. Es waren Badewannen mit Löwenfüßen, die Spritzer des weißen Emails gingen wie Sterngestöber ins Schwarz des Wannengrunds über. Ich verlor eins der Stiefelpaare, sie waren mit Bindfaden aneinandergeknüpft, bückte mich, einer der Nachdrängenden stolperte über mich, riß andere mit, ich war unter fünf oder sechs Leuten, sah Arme, die Last wurde schwerer, vielleicht fielen noch mehr, dann sah ich Irrgang, der einigen heftig in den Hintern trat, so daß sie wegkrochen. Der Einkleider schrie: Mensch, Sie halten hier alles auf, komm’ Se, komm’ Se, vorwärts, immer den Kreidestrich lang, ich zog mich an Regalstreben hoch, sah den roten Strich und stolperte weiter. STATION 2: Zeltbahn, Dienstuniform Winter, Mantel. Der Einkleider an dieser Station winkte uns an den Tisch, klatschte vier Zeltbahnen drauf, Krempel da reinpacken, musterte mich undflederte mir zwei steingraue Uniformen (»Filzlaus«) und einen schweren Militärmantel um die Ohren, grobes Tuch, filzig, hier roch es noch stärker nach Waschpulver, wahrscheinlich waren die Sachen in der chemischen Reinigung gewesen. Ich ekelte mich, sonstwer hatte sie vor mir getragen, dachte ich, sonstwer hat sie vollgeschwitzt und anderweitig verdünstet. Krempel in die Zeltbahn, müßt einen Sack draus knüpfen, Knöppe sind an der Seite, und bilden Se mal kein Korallenriff, weiter, weiter! STATION 3: Turnschuhe, Ausgangsschuhe, Käppis, Tragegestell und Koppel, ein paar Würfe ins Gesicht. STATION 4: Trainingskleidung, brauner Trainingsanzug, gelbes Turnhemd, rote Hose, die Farben des Armeesportvereins. STATION 5: Schwarzkombi für Arbeiten am Panzer, Felddienstuniformen. (»Einstrichkeinstrich«) Größe! – M 48. Die Schwarzkombi, zwei gefütterte und eine ungefütterte Tarnuniform flatterten durch die Luft wie Waldvögel. Da raus, und bißchen Ballett, wenn ich bitten darf, Unteroffziersschüler! Ein Gang, von ein paar Scheinwerfern gehöhlt, tatatamm-tatatamm-tatatatatamm schepperte der Radetzkymarsch, hier war der Waschpulvergeruch am intensivsten, Irrgang wies wieder auf eine Wanne, nur daß sie diesmal auf dem Erdboden stand, Gehilfen tauchten Klobürsten hinein und schrubbten die durchhastenden Unteroffiziersschüler ab, brüllten »Ohren, Ohren« und »Durch’s Arschloch geht’s

Weitere Kostenlose Bücher