Der Turm
mir ein Paket senden, das groß genug ist dafür, denn hier gibt es keine Pakete. Übrigens bekomme ich 225 Mark monatlich. Schöne Grüße an Euch alle von Christian
AZ Q/Schwanenberg, 15. 11. 84
Liebe Eltern: Herzlichen Dank für Euer Paket, das gestern angekommen ist. Das war genau der richtige Zeitpunkt, wir konnten nichts zu Mittag essen, da wir Ausbildung hatten. Vor allem die Äpfel sind wichtig, wir haben schon ordentlich dran gezecht (manchmal fällt mir das ein: »Bei einem Wirte wundermild …«, aber niemand hier liest Uhland). Es gibt nur selten Gemüse, Obst gar nicht, aber wir leben ja sonst sehr gesund (viel sportliche Betätigung). Falls Du also, liebe Ma, irgendwann noch ein Päckchen schicken solltest, dann nach Möglichkeit nur Äpfel, Möhren, etwas Seife, einen Salzstreuer. Und Barbara soll mirdas Radio bitte nicht schicken (ich wollte ihr schreiben, hab aber bloß Zeit für einen Brief ), Radios sind auf den Stuben verboten. Dem Musikmangel könnte man vielleicht anderweitig abhelfen, denn ich habe bisher im Kompanie-Exemplar der Innendienstvorschrift keinen Paragraphen finden können, der ein Cello verbietet. Aber es müßte schrumpfen können, denn das Problem ist der kleine Spind, und auch aus dem Panzer würde das Cello oben zur Luke rausgucken. Immerhin: Wenn ich Herrn Violon Cell die Panzerkappe aufsetze und das Grüßen beibringe, könnte er glatt für mich durchgehen, denn das Brummen und Grunzen ins Bordmikro schafft er bestimmt.
Heute sind wir 6 Stunden marschiert, Exerzierausbildung, alles im »Rokokostil« (die Beine müssen gestreckt und mindestens 30 cm über den Erdboden gehoben werden und drehen ganz, ganz kleine Schleifen). Rechts um, links um, machen Se Qualm, Mensch Schütze Arsch im letzten Glied, raffen Se Ihre Bewegungsbananen! Danach hatten wir Arbeitseinsatz, von mittags 13 bis abends 21 Uhr im Akkord Panzer schrubben, Rost kratzen, streichen, hinter dem Uffz.-Schüler steht der Uffz. und pfeift mit der Trillerpfeife. Besonders schön ist die Gegend um unser Objekt, kahl wie ein Kosakenschädel, ohne Baumbestand, am Horizont Kräne, Industrieschlote, hallenähnliche Gebilde. Hier der Text eines Marschlieds, den wir lernen müssen, denn es ist unser Lied, das »Lied der Panzersoldaten«: »Rosa ist die Waffenfarbe, / die so stolz ich trag’, / rosa ist ein Kleid von dir, / das so gern ich mag. // Von den Feldern winken Tücher, / eins davon gilt mir, / in Gedanken küß’ ich dich, / bald bin ich bei dir. // Freust du dich auf heute abend, / auf den Tanz zu zweit, / dort wirst du die Schönste sein, / du im rosa Kleid. // REFRAIN: Durch das kleine Dorf marschiert / unsre Kompanie, / wo der Weg zu dir hinführt, / das vergeß’ ich nie.«
Wir singen es allabendlich beim Marsch zum Essen, Melodie egal, jeder kräht, wie es ihm paßt, Hauptsache laut. Die anderen Kompanien singen das gleiche Lied, ändern aber die Waffenfarbe: statt rosa (Panzer) setzen sie grün (Chemische Dienste), schwarz (Pioniere), rot (Artillerie), weiß (Mot.-Schützen) oder gelb (Nachrichten). Das holpert zwar, aber laut geht trotzdem. Deine Anfrage bezüglich der Vereidigung, liebe Ma, muß ichnegativ beantworten. Unsere Panzereinheit darf keine Angehörigen einladen, da sonst die Platzkapazität in den Schwanenberger Gaststätten überschritten wird, heißt es. Ich muß Euch also auf meinen Urlaub vertrösten. Habt Ihr was von Muriel gehört? Und stimmt es, daß Ina sich verlobt hat? Möchte, mit schönen Grüßen an alle, Euer Christian wissen.
Hans-Beimler-AZ, Schwanenberg, 19. 11. 84
Liebe Tietzes: Es riecht nach Schokolade, die Schwanenberger Süßwarenfabrik gießt Pralinen. Die Kompanie ist beim Stuben- und Revierreinigen, was vor allem Kakaofegen heißt: Der Wind treibt den braunen Staub über Kilometer heran. Ich aber sitze auf dem Lokus und schreibe Euch rasch diese Zeilen.
Die eingeweckten Birnen sind heil angekommen, besten Dank für Eure Gaben im Paket meiner Eltern. Den Nierenwärmer, den Du mir gestrickt hast, liebe Gudrun, werde ich beim Wacheschieben und im Feldlager gut gebrauchen können; hoffentlich wird er mir nicht gestohlen oder als dienstvorschriftswidrig verboten.
Zur Zeit werden wir in die Feinheiten der innermilitärischen Kommunikation, speziell des Gruß- und Fluchwesens, eingewiesen. Das tut ein Feldwebel, den wir den »Mongolen« nennen. Genosse Dienstgrad, gestatten Sie, daß ich spreche?
Genosse Dienstgrad, gestatten Sie, daß ich vorbeigehe?
Genosse
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