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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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heißer Haut ins Gespräch. »Breshnew besucht die USA. Am Morgen des zweiten Besuchstages wird er von Präsident Ford gefragt, was er denn geträumt habe. – Ich habe vom Capitol in Washington geträumt, auf dem Dach wehte eine rote Fahne! – Merkwürdig, sagt Ford, ich habe vom Kreml-Palast geträumt, und auf dem wehte auch eine rote Fahne! Breshnew lächelt überlegen. – Die können Sie doch dort immer sehen! – Ja, aber auf der Fahne stand noch irgend etwas geschrieben. – Was denn? – Das weiß ich nicht, ich kann kein Chinesisch!«
    »Achtung«, warnte Clarens. Müller kam, süßsäuerlich lächelnd, in der Linken einen Teller mit Schaschlikspießen und Pfirsichen. »Was gibt es denn, meine Herren? Darf man mitlachen?«
    »Wir haben uns gerade einen neuen Witz erzählt, Herr Professor«, sagte Weniger in herausforderndem Ton. Müller hob die Brauen.
    »Auf dem Alexanderplatz in Berlin wurde ein Bananenautomat aufgestellt. Steckt man oben eine Banane hinein, kommt unten ein Markstück heraus.«
    Müller spitzte die Lippen. »Hm, ja. Nun, ich glaube doch, daß das eher kein so besonders guter Witz ist, meine Herren.« Müllers Mund wurde schmal, die Augen verengten sich. »Gewisse Kreise würde es freuen, wenn sie wüßten, daß es ihnen gelungen ist, so weit vorzudringen … Und ich bedaure das um so mehr, als ich gerade auf Ihrem Teller, Herr Weniger, eine Banane sehe …« Müllers Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Wir haben Verantwortung, meine Herren, und es ist leicht, sich an billigen Spöttereien über unser Land zu beteiligen … Aber es ändert nichts, wissen Sie, es ändert nichts … Und gerade Sie, meine Herren«, er schüttelte mißbilligend den Kopf, »– wir, wir sollten uns unserer Stellung bewußt sein. Ob mit oder ohne Bananen … Und vor allem sollten wir«, er sagte »ßollten«, sprach leise und gedehnt, mit noch immer leicht schräggeneigtem Kopf, »die Spötteleien über einen großen Toten unterlassen, den unser Brudervolk verloren hat, meinen Sie nicht auch, Herr Kollege?« Weniger schluckte und sah beiseite. »Natürlich, Herr Professor.«
    »Freut mich, daß wir einer Meinung sind.« Müller lächeltezuvorkommend. »Übrigens, Herr Hoffmann – Ihre Frau ist eine ganz vorzügliche Köchin. Die Steaks und das Soufflé hat sie mit dem hiesigen Koch selbst zubereitet? Hervorragend, wirklich hervorragend. Ich habe ihr bereits meine Anerkennung ausgedrückt und sie gebeten, meiner Frau einige Rezepte zu verraten, vor allem das des Kirschkuchens heute nachmittag bei Ihnen. Vorzüglich!« Er ging langsam zu seinem Platz, sich dabei mit einigen Ärzten unterhaltend. Weniger und Clarens, blaß geworden, blickten ihm nach.
    »Wie hältst du’s bei dem bloß aus, Richard«, zischte Weniger durch die Zähne. »Falscher Hund, verfluchter.«
    »Manfred.« Richard hob beschwichtigend die Hand.
    »Ach was. Führt sich auf wie Graf Koks. ›Wir haben gesammelt, wir haben das Bild gekauft‹ – soll ich dir was sagen? Keinen Finger hat der krumm gemacht. Die Idee stammte von eurer Oberschwester, und dahintergeklemmt hat sich Wernstein. So sieht’s aus. Der Herr Chefarzt hat dann, als die Sache Konturen bekam, alles unter seine Fittiche genommen.«
    »Vergessen wir’s«, sagte Clarens. »Lassen wir uns doch das schöne Essen nicht verderben.«
    In Wenigers Gesicht zuckte es. »Ich hab’ noch einen. Nu grade. Wie kann man mit einer Banane die Himmelsrichtung bestimmen? Auf die Mauer legen. Dort, wo die Banane abgebissen wird, ist Osten.«
    Als alle saßen, brachte Müller einen Toast aus. Nicht nur Ezzo und Christian fielen mit Heißhunger über die Speisen her, die zu besorgen Anne und Richard in »Delikat«-Läden ein kleines Vermögen ausgegeben und sich Monate vor dem heutigen Tag gekümmert hatten. Und ohne den Bruder seiner Sekretärin, der Sonderkontingente Obst und Südfrüchte für die Versorgung von Berlin fuhr, hätte Richard Hoffmann nur die zwei in normalen Gemüseläden vorrätigen Apfelsorten bekommen können: braune, allzu saure Boskoop und grüne, allzu süße Gelbe Köstliche. Die Lendensteaks, das Gewiegte für Fleischklößchen und Beefsteaks und das Gulasch für die Schaschlikspieße hatte Richard, gegen einen der zwei Sätze Schneeketten, die ihm Alice und Sandor vor einigen Jahren geschenkt hatten, in der Fleischerei Vogelsang besorgen müssen. Das Restaurant der »Felsenburg«hatte den geringsten Anteil am Büfett; allein Küche, Geschirr und Räumlichkeit

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