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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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sagst du da von Medizinalrat? Ach was. – Oder weißt du etwas?«
    »Na, komm, Richard, das pfeifen doch die Spatzen von denAkademie-Dächern. Du kriegst den Medi-Rat oder die Hufeland-Medaille, Pahl die Hufeland-Medaille oder vielleicht sogar den Fetscher-Preis, wie man so hört.«
    »Soso, hört man. Ich nicht.«
    »Aber mein Chef. In der letzten Chefarzt-Konferenz.«
    Richard dämpfte die Stimme. »Viel wichtiger als dieser Firlefanz wäre, wenn wir endlich nicht mehr um jede Infusionsflasche und jede popelige Binde betteln müßten! Wenn die mal ihre Strukturprobleme in den Griff bekämen, so daß wir vernünftig arbeiten könnten! Na, weiß Gott auch! So ein Stück Blech können die sich schenken. Das ist doch nur ein Beruhigungsdrops an deiner Brust … Wenn wir den Chefs und den Oberärzten ab und zu mal ein bißchen Honig ums Maul schmieren, wird sich der Rest schon von alleine regeln, nach dem Motto läuft das doch!«
    »Nicht so laut, Richard.« Weniger war ernst geworden und sah sich unruhig um. Als sein Blick auf Christian fiel, hellte sich sein Gesicht auf. »Alle Achtung, das klang ja wie in einem Konzert! Wie lange spielst du schon?«
    »Seit …« Christian kniff überlegend die Augen zusammen, »– seit acht Jahren ungefähr.« Es war ihm peinlich, daß ihn nicht nur die beiden Ärzte und sein Vater, sondern auch die unmittelbar davor und dahinter Wartenden ansahen.
    »Willst du das beruflich machen? Cellist?«
    »Nein. Mach’ Abitur.«
    »Ah.« Weniger nickte. »Aber da kannst du ja in die Fußstapfen vom Vater treten?«
    »Will Medizin studieren, ja.«
    »Gute Entscheidung!« Weniger schürzte die Lippen und nickte energisch. »Und, wenn ich fragen darf: die Noten?« Er winkte ab. »Wenn’s nach mir ginge – gute Zensuren allein machen keinen Arzt. Wenn ich da an so manches Fräulein denke, das zu uns kommt … Alles Einsen im Studium, aber kein Gespür, nischt in den Pfoten, um’s mal grob zu sagen, und gleich aus den Latschen kippen bei der ersten Sectio …«
    »Ach, die Zensuren sind schon ganz gut. Außer in Mathematik …«
    »Na, das alte Problem der Mediziner! Meine Güte, dein Vater und ich, wir waren in Mathe schlecht wie die Raben! Ach was,mach’ dir mal darüber keine Gedanken. Es gibt weniger Mathematik im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich träumen läßt … Na ja, ich hab’ freilich gut reden. Streng’ dich nur an. Aber, wie sieht’s aus … schon ’ne kleine Freundin?«
    Christian, der sich inzwischen Teller und Besteck genommen hatte, lud sich vorsichtig Reis auf, räusperte sich verlegen. »Hm, nein, noch nicht.«
    »Na, das kommt schon noch, wirst sehen. Und mach’ dir mal keine Gedanken wegen der paar Pimperchen im Gesicht. Die verschwinden ganz von selber, und eine, die bloß darauf guckt, die taugt eh nischt, mein Guter.«
    »Wie geht’s deinem Jungen?« fragte Clarens den Oberarzt aus der Gynäkologie. Christian war feuerrot geworden.
    »Matthias? Der ist jetzt bei der Fahne, Nachrichtentruppe. Müssen den ganzen Tag Strippen ziehen und durchs Gelände rennen. Aber was er mal machen will, weiß er noch nicht. ›Ruhig bleiben, Papa …‹ ist das, was ich von ihm immer zu hören kriege, wenn ich mir mal eine Frage, eine Andeutung gestatte. Mal will er Bühnentechniker werden, dann Rundfunkmoderator, dann Förster … Gesine und ich dachten schon, das sei nun mal was Festes, der Förster, nachdem er sich letztes Jahr an der Forstakademie in Tharandt beworben hatte; aber er hat die Bewerbung zurückgezogen. Was als nächstes kommt – tja. Er weiß nur, was er nicht will: Medizin studieren. ›Ich will nicht so wie du im Allerheiligsten ’rumfummeln, Papa‹ – das sagt einem der Bengel ins Gesicht und feixt.«
    Dieses Lachen war etwas, das Christian irritierte.
    »Komm, Manfred, laß dir’s schmecken auf den Schreck! Hier, diese herrlichen gefüllten Paprika …« Clarens sah Weniger über die Brille hinweg an. »Sag’ mal, was ich dich fragen wollte – du kennst doch den Chef von dieser Autowerkstatt da in Striesen, diesen Mätzold oder wie der heißt …«
    »Pätzold. Ja. Was ist mit dem?«
    »Du hast doch bei seiner Tochter letztes Jahr die Interruptio gemacht …« Clarens beugte sich zu Weniger hinüber und murmelte ihm etwas zu. Was Christian davon verstand, hörte sich nach »Hohlraumkonservierung« und »Karkasse« an, aber vielleicht hatte er sich bei diesem Wort auch verhört, und es mußtein Wirklichkeit »Barkasse« heißen; aber,

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