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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Meno, in dessen Augen die bläulichen und purpurnen Lichtreflexe des Kristalls hin- und herhuschten.
    Emmy hatte einen Anteil am Barometer übernommen, und vom Geschenk der Tietzes hatte Christian von Ezzo gehört, es lag zu Hause in der Karavelle: eines von Niklas’ schönen vernickelten Stethoskopen aus St. Petersburg.
    »Na, ihr beiden, was schaut ihr euch denn an? Meine Güte, Gudrun, und da heißt’s, der arme Osten«, schaltete sich Barbara ein und klimperte mit den schrill lackierten Fingernägeln auf dem Tisch. »Wie findest du übrigens Inas Kleid? Wir haben den Schnitt aus einer von Wieners Zeitschriften genommen, was in unseren steht, kannst du getrost vergessen. Soll ich dir einen Termin bei ihm machen?«
    »Ich war erst gestern beim Friseur, liebe Barbara. Bei Schnebel.«
    »Gudrun, ganz ehrlich, das sieht man leider. Schick’ doch mal Reglinde vorbei, sie hat fast Inas Maße, und niemand kann was gegen aufregendere Begräbnischoräle haben.«
    »Der Erfolg eines Kleids ist der Heiratsantrag an die Frau, wie Eschschloraque in seinem neuen Stück sagt. Bißchen chauvinistisch, ich meine, um Gottes Willen, Barbara, aber wir spielen’s gerade. Und Ina kommt ja bald in das Alter, wo Schultern frei riskant wird.«
    Was Barbara überhörte. Sie hielt das Oldtimer-Buch in der Hand, das die Wolfsstein-Hoffmanns geschenkt hatten. »Richard und seine Basteleien … Na, enöff. Männer müssen beschäftigt werden, sonst kommen sie auf dumme Ideen. Das merke dir, Christian. Seid ihr vorhin bei Hans vorbeigekommen? Hin oder her, es ist der Fünfzigste seines Bruders, da ist es offen gestanden nicht die feine englische … enöff.«
    »Iris hat angerufen«, sagte Meno. »Sie haben die Masern.«
    »Was?!« Gudrun fuhr entsetzt zurück. »Und das sagst du mir erst jetzt? Die Masern! Das kann für Erwachsene … tödlich sein! Diese Viren, habe ich neulich gelesen, besitzen eine fürchterliche Ansteckungskraft! Und die sind ja dann auch an diesem Buch!«
    »Muriel versichert, sie habe es nur mit Handschuhen angefaßt, und Hans hat es sogar desinfiziert«, beruhigte Meno.
    »Muriel, dieses Träumerchen!«
    Christian dachte an seine Cousine, die er still kannte und entschieden, aber nicht als »Träumerchen«. Die beiden Frauen entführten Meno. Christian nahm das Barometer aus dem Beutel und gab es Anne, die mit den anderen hereinkam. Er war gespannt, wie sein Vater das Geschenk aufnehmen würde und ob es neben der »Tauwetterlandschaft« würde bestehen können. »O-ohr«, entfuhr es gleichzeitig Richard, Emmy und Ezzo, der sich an den Tisch gedrängelt hatte.
    »Eigotthe! Das is ja ä Brungk-schdigg, mei Schunge«, Emmy schlug die Hände zusammen.
    »Allerdings. Das ist es.« Richard strich vorsichtig über das Barometer. Schnitzwerk aus Eichenholz faßte die Mechanik und, darüber, ein Thermometer, auf dem eine Réaumur- und eine Celsius-Skala angegeben waren. »Aneroid-Barometer«, stand in Frakturschrift auf der weißen Skalierung der Federdose geschrieben, darunter der Name der Herstellerfirma: Oscar Bösolt, Dresden. Über dem Luftdruckzeiger befand sich eine Stellnadel zum Ablesen der Druckänderung. Das von Lange noch einmal nachpolierte und geölte Holz besaß einen satten Schimmer; alle wollten es berühren. Stilisierte Wasserpflanzen rahmten die Federdose und gingen am unteren Ende in zwei Delphine über, die ihre Schwänze kreuzten und deren Mäuler die pfeilartigen Pflanzenblätter verschluckten. Aus diesen Blättern wuchsen, das Thermometer in einer lyraähnlichen Figur einrahmend, zwei schlanke Stengel, die sich nach oben allmählich verdickten und ansatzlos wiederum in zwei Delphine übergingen, deren Leiber unter je einem Paar Binsen das Barometer links und rechts oben abschlossen. In der Mitte, über dem Thermometer, saß ein Vogel mit gebreiteten Flügeln; der Leib war wurmstichig, und von den hölzernen Federn waren hier und dort Stücke abgebrochen.
    Meno erzählte, wie sie das Barometer entdeckt und schließlich erworben hatten. »Es gehörte dem Wirt, der im ehemaligen Vereinshaus der Elbefischer die Kneipe betreibt. Lange kennt ihn. Erst wollte er es gar nicht verkaufen, obwohl er doch annonciert hatte. Aber Lange hat vermittelt. Christian ist heute dort gewesen, und so haben wir es bekommen.«
    »Aber – meine Guten, das hat doch ein Heidengeld gekostet, das könnt ihr doch nicht machen. Wieviel … Also, ich meine: Wieviel habt ihr bezahlt? Da lege ich was dazu, das ist doch

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