Der Turm
Tabak und Naphthalin.
»Christian, Anne möchte, daß wir ihm das Barometer jetzt geben, wenn alle wieder drinnen sind«, sagte Meno zwischen zwei Pfeifenzügen. »Bist du so nett und bereitest es ein bißchen vor?« Christian spürte, daß er störte, nickte und ging in das Restaurant zurück, wo Ezzo, Reglinde und Robert sich schon wieder am Büfett zu schaffen machten, Ezzo und Robert schmatzend und augenrollend vor Behagen.
»Wo ist eigentlich euer Uhren-Großvater?« fragte Reglinde kauend.
»Seit Emmy und er geschieden sind, gibt’s eine Übereinkunft: Wo sie ist, will er nicht sein und umgekehrt.«
»Ach so. Hast du Ina gesehen?«
»Ist vielleicht mal austreten. Tolles Kleid hat sie an.«
»Haben wir in der ›Harmonie‹ geschneidert. Barbara hat uns natürlich geholfen.«
Christian sah die kleine Pelz-Schneiderei an der Rißleite vor sich, die von Wind und Wetter blättrig gewordene, verglaste Tür; es war Sitte, daß im Frühjahr und Sommer, wenn in der »Harmonie« die Winterlieferung eintraf, die Kinder des Viertels dorthin gingen, um nach Fellresten zu fragen, die bei der Verarbeitung abfielen. Die Fellreste wurden gesammelt, und wenn ausreichend zusammengekommen war, nähten die Mütter daraus warme Westen, Fäustlinge und Mützen.
»Eigentlich wollte sie es erst auf dem Semesterabschlußball in der Pädagogischen Hochschule anziehen. Die Ärzte drüben auf der anderen Tischseite haben ja ganz schön geguckt, hast du das gesehen?«
Christian zuckte die Achseln. Reglinde, die angehende Kantorin, erzählte ihm Neuigkeiten aus der Kirchenmusikschule, aber Christian hörte nur mit halbem Ohr zu; ihn fror noch immer, er steckte die Hände in die Taschen seines guten Anzugs, den Richard ihm geschenkt hatte, da er ihm zu eng geworden war; aber Christian nahm sie wieder heraus, als ihm einfiel, daß esunhöflich war, so dazustehen. Er war verlegen, Reglindes große, ausdrucksvolle braune Augen irrten aus seinem Blick, wenn er sie allzulange ansah, und seinen nachlässigen Scheitel, die Wirbel in seinem dunkelblonden Haar und, wenn er lächelte, die Grübchen in seinen Wangen streiften; seine Hautunreinheiten. Sie hatte die hohe, schön gewölbte Stirn Gudruns geerbt, auch die durchscheinend zarte, aber nicht blasse Haut mit den darin sichtbaren blauen Äderchen; Wangen- und Mundpartie von Niklas. Reglindes kastanienbraune, natürliche Kräusellocken, die sie kurzhielt, waren untypisch für die Tietzes, die wie die Rohdes alle ziemlich dunkles und glattes Haar besaßen; Robert, der bis auf die Augen äußerlich viel stärker nach den Rohdes kam als Christian, wurde von Außenstehenden für Ezzos und nicht Christians Bruder gehalten.
Reglinde spürte wohl seine Verlegenheit, bog das Gespräch ab und folgte Ina, die ihr von der Tür winkte.
Christian ging zum Tisch mit den Geburtstagsgeschenken. Meno hatte sich nicht nur an den Kosten für das Barometer beteiligt, sondern auch – dies also der Inhalt des Päckchens – eine Schallplatte geschenkt: Beethovens späte Streichquartette, eingespielt vom Amadeus-Quartett. Daneben lag die Gabe von Ulrich Rohde und seiner Familie, ein Buch: Bier/Braun/Kümmell, Chirurgische Operationslehre, herausgegeben von F. Sauerbruch und V. Schmieden, Johann Ambrosius Barth, Leipzig, 1933 , las Christian, und dieses Geschenk, eine wohlerhaltene antiquarische Ausgabe mit vielen farbigen Abbildungen, kannte er. Stets hatte es einen Ehrenplatz in der Bibliothek des Onkels gehabt, denn es war die berühmte Ausgabe eines berühmten Buchs, noch dazu mit eigenhändigen Widmungen Sauerbruchs und Schmiedens versehen; Richard hatte es immer bewundernd und auch ein wenig neidisch in den Händen gehalten, wenn sie im Italienischen Haus zu Besuch gewesen waren. Ulrich Rohde besaß eine große Sammlung solcher Bücher.
Von Großvater Rohde hatte der Vater ein seltsames Geschenk erhalten: einen eiförmigen, etwa kopfgroßen Stein, der in der Mulde eines glattpolierten hölzernen Würfels aufrecht stand. »Gib acht, wenn du es nimmst, es ist in der Mitte durchgesägt, siehst du?« hörte er plötzlich Meno neben sich sprechen. »Mannennt es eine Druse oder auch Geode, es wird so im Berg gefunden. Sei vorsichtig, es ist wertvoll.«
Bläulich, purpurn und violett funkelnde Kristalle, dicht an dicht geordnete Prismen, wie Christian es vom Bergkristall kannte; manche bis kleinfingerlang und so exakt gebaut und klar, als hätte sie Menschenhand gefertigt.
»Das ist der Amethyst«, sagte
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