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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Das ist mir ein wenig peinlich, das kommt überraschend für mich, müssen Sie wissen, natürlich bin ich Ihnen sehr dankbar, das können Sie mir … wie? Da haben Sie auch wieder recht … Würden Sie Ihren Eltern etwas ausrichten?« Dann drückte Altberg aus – Meno wollte ihn dabei nicht beobachten, empfand aber eine sonderbare Genugtuung, Altberg in dieser Situation zu sehen, so daß er sitzenblieb –, Altberg versuchte auszudrücken, indem er nach dem rechten Wort rang und, da er es nicht auf die Sekunde fand, es mit vielerlei rhetorischen Netzwürfen herbeizufischen unternahm: Ob Philipp so freundlich sein wolle, den Eltern seinen, Georg Altbergs, Entschluß … nein Entschluß klinge unangemessen, zu leutselig, Philipp wisse schon und müsse doch denken, wie herablassend … Er arbeite gerade an einer Geschichte, in der ein Bettler vorkomme, natürlich nichts von hier und heute, denn wo gebe es in unserem Land Bettler, ein solcher aber komme eben bei ihm vor, und welch schöner Mißklang wäre es, würde er diesen Bettler sich entschließen lassen, die freundlich dargebotene Gabe anzunehmen; ob der Vater denn arbeite oderdringend in die Akademie bestellt sei? – Er wolle ihm jedenfalls seine Absicht mitteilen, »hm«, lächelte Altberg und kratzte sich am Kopf, den er beim Auf- und Abgehen schräggelegt hielt, »hm … Meine Absicht, Herrgott, vergessen Sie bitte ganz schnell diese verbale Entgleisung, lieber Philipp«, das Telefon sei doch eine recht seltsame Sache, bei Lichte besehen, man spreche in die Muschel zu einem anderen Menschen, der ganz Stimme sei und dessen körperliche Erscheinung man sich zu dieser Stimme hinzudenken müsse, was nicht immer zufriedenstellend funktioniere, Philipp wisse natürlich, daß es selbstverständlich auch nicht seine, Altbergs, Absicht sei, das heißt, das sei es sehr wohl, nur beabsichtige er eben nicht in der in diesem Wort doch sacht mitschwingenden Siegesgewißheit, »beabsichtigen … Mensch, Altberg, hast du’s wieder hochtrabend heute«, streckte die Hand aus und fächelte ein wenig um den Telefonhörer herum, als könnte er so das ihm unangenehme, aber einmal gesagte und vom Gegenüber gehörte Wort in kleine Bestandteile stäuben, die ihre ursprüngliche Form nicht mehr erkennen lassen würden; »das heißt ganz einfach, ich will, soll sagen: ich möchte … Würden Sie ihm sagen, daß ich komme?«
    Meno war zu sehr in Erwägungen, um Altbergs Blick und Schweigen, nachdem er den Telefonhörer aufgelegt hatte, als auf sich gemünzt wahrzuhaben; es war einer jener prüfenden Blicke, hinter denen Gedankenkreise ablaufen, die nach etwas suchen und es, als mögliche Antwort auf die unausgesprochene Frage, plötzlich vorweisen; es war das Schweigen, das weiß, daß es die letzte Barriere vor einem womöglich unüberlegten, weil in zu raschem Vertrauen gesagten Wort ist, das Schweigen vor der Ungewißheit, inwieweit der andere das ist, was er zu sein scheint, und ob man es nicht bitter bereuen wird, wenn man das Wort ausspricht, das jetzt noch wohlbehütet in den Tiefen der komplizierten Maschinerie steckt, die es erst zu Sprache und Stimme prägen muß; man weiß nicht, ob der erste Impuls, das Wort gleich ausschlüpfen zu lassen, ein tatsächlich befolgenswerter ist und ob das geprägte Wort, einmal und damit unwiderruflich gesagt, zur Münze wird, die die Torwache des anderen Schweigens besticht, oder zum Judaslohn für den verräterischen Unbekannten im eigenen Innern, der seine vorzügliche Tarnung für einenkurzen, gefährlichen Moment verließ. Meno sah Londoner vor sich, wie er am Schreibtisch saß und etwas exzerpierte, neben sich einen Zettel mit Namen, die er gegeneinander und auch gegen Vorstellungen abwog, die man in Betrachtung seiner Fingernägel anstellt; wie Londoner bei Altbergs Namen vielleicht schon zum Telefonhörer gegriffen, die Hand aber noch in der Schwebe gelassen hatte, um dann Philipp zu rufen und ihm aufzutragen, Altberg die Einladung zu übermitteln; und nachdem Philipp aus dem Zimmer gegangen war, hatte, vielleicht, Londoner mit übereinandergeschlagenen Beinen dagesessen und das Bleistiftende mit dem Radiergummi in kalter Überlegung gegen das Kinn getippt, einige Sekunden lang, bevor er den Zettel in Stücke zerriß, auf denen nicht einmal die Buchstaben der Namen mehr lesbar waren.

41.
Ausreisen
    Das Glas zu berühren. In eine prallgefüllte Kilopackung Zucker zu stechen. Das Vogelei, das sie in der Kindheit aus dem Nest genommen

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