Der Turm
vorgehe.«
»Und wie?« hieß es aus mehreren Mündern gleichzeitig.
»Versteht mich nicht falsch. Aber es könnte doch sein … Ich meine, Niklas: Kannst du es wissen? Und Richard: Immerhin hast du zugegeben, daß sie dir –«
»Du verdächtigst mich, ich würde dich verpfeifen?«
»Entschuldige, so hab’ ich’s nicht gemeint. Ich bin ein bißchen mit den Nerven runter.«
Pedro Honich war ein ordnungsliebender Mann. Einen Tag nach dem Einzug im Tausendaugenhaus fragte er, wer eigentlich das Hausbuch führe: Schiffsarzt Lange, der es seit Jahr und Tag vernachlässigt hatte.
»Herr Doktor Lange, das geht nicht. Das muß seine Ordnung haben«, tadelte der hauptamtliche Kampfgruppenkommandeur und bot dem Schiffsarzt an, das Hausbuch künftig selbst zu führen. »Bei Herrn Rohde ist ja nichts eingetragen, dabei empfängt er öfters Besuch.«
»Ja, wissen Sie, Herr, äh, Honich –«
»Genosse Honich. Ich bin Mitglied unserer Sozialistischen Einheitspartei.«
»– ich nicht. Wir sind keine Spitzel, und ob Herr Rohde Besuch hat oder nicht, und wer das ist und wie lange er bleibt, geht nur ihn etwas an, finde ich.«
»So, finden Sie.« Herr Honich sprach von bürgerlicher Überheblichkeit und Schlupflöchern, die es zu verschließen gelte. Einige Tage danach berief er eine Hausgemeinschafts-Versammlung ein.
»Müssen wir das machen?« fragte Ingenieur Stahl. »Was will der Typ eigentlich? Glaubt er, wir sind Mitglieder seiner Kampfgruppe?«
»Hören wir uns an, was er zu sagen hat«, meinte Schiffsarzt Lange.
Die Versammlung fand wegen Platzmangels im oberen Flur statt. Frau Honich hatte ein Büfett mit geschmierten Schnitten, Bier und Mineralwasser vorbereitet, das nur die Kaminski-Zwillinge anrührten.
Herr Honich trug Kampfgruppenmontur, erhob sich und erklärte die Versammlung mit einer Anwesenheitskontrolle für eröffnet. Sylvia Stahl war entschuldigt, sie hatte einen Abend bei der Patenbrigade im Hotel Schlemm. Dann stellte er seine Frau und sich vor. Die Frau hieß Babett, stammte aus Karl-Marx-Stadt und war die neue Pionierleiterin der »Louis-Fürnberg«-POS. Herr Honich kam, wie er betonte, aus einer Arbeiterfamilie im Dresdner Stadtteil Mickten. Die Hobbies seiner Frau seien der Garten und die Timurhilfe für ältere und behinderte Menschen; er selbst fahre leidenschaftlich gern Motorrad, sei ein großer Fan von Dynamo Dresden und spiele selbst gern Fußball. Er habe vor, einen Straßenclub zu gründen, und hoffe auf rege Beteiligung vor allem der Jugendlichen; wenn sein Beispiel Schule mache, könne man Straßenmeisterschaften austragen, welche dieFrauen mit Solidaritätstombolas, Bastelbahnen für die Kleinsten und Essen aus der Gulaschkanone für die Aktiven unterstützen könnten; die Gulaschkanonen zu besorgen sei kein Problem. Sein Ehrgeiz sei es, die »Goldene Hausnummer« im sozialistischen Wettbewerb zu erringen.
»Um Himmels willen«, flüsterte Ingenieur Stahl Meno zu, »was haben die uns da für einen reingesetzt!«
»Das ist ja alles ganz gut und schön«, unterbrach Sabine Stahl, »aber wissen Sie, wir sind werktätige Menschen und haben für solche Dinge in der Regel wenig Zeit. Mich interessieren zunächst praktischere Fragen, zum Beispiel, wie wir das Bad nutzen. Mit Herrn Rohde allein ging es noch, aber jetzt sind wir neun, die morgens und abends ins Bad wollen, und unser Junge ist noch völlig unberechenbar. Wie wollen wir das lösen?«
»Ich schlage vor, daß wir einen Plan ausarbeiten, wer wann das Bad benutzt, Bürgerin Stahl. Sie als Mutter haben natürlich Vorrang.«
»Plan, Plan! Glauben Sie, wir können nach Plan aufs Klo? Wie Sie vielleicht bemerkt haben, befindet sich die Toilette ebenfalls im Bad, und was nun?«
»Das haben wir sehr wohl bemerkt, Genosse Stahl.«
Der Ingenieur griff sich erbost ans Revers seines Jacketts, wedelte es hin und her. »Sehen Sie hier ein Abzeichen? Nein? Ich bin kein Genosse!«
»Was wollen Sie damit sagen?«
Frau Honich klopfte ihrem Mann sanft auf die Hand. »Wir haben es bemerkt«, entgegnete sie ruhig. »Vielleicht können wir Ihre Toilette mitnutzen?« wandte sie sich an die Kaminskis, die erschrocken die Hände hoben und protestierten.
»Seit 1975 haben wir einen Antrag auf einen Badneubau laufen. Der kommt aber nicht vorwärts. Statt dessen setzt uns die KWV Sie ins Haus. Ein Skandal! Genauso finde ich es, da Sie als Genosse ja offene Worte schätzen, skandalös, daß Sie, kaum sind Sie hier eingezogen, einen
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