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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Telefonanschluß bekommen, während Herr Rohde und ich seit zig Jahren darauf warten.«
    »Aber ich bitte Sie, Bürger Stahl, wir können doch nichts dafür. Ich muß schließlich rund um die Uhr erreichbar sein. Ich seheja, daß es ein Problem gibt. Vielleicht kann ich etwas machen«, lenkte Herr Honich ein.
    »Sie haben Beziehungen?« krächzte Libussa, die einen dicken Schal um den Hals trug und an einem Glas Honigmilch schlürfte. »Nun … Wissen Sie, man hat uns zur Einweisung auf ein Badehaus in der Querleite verwiesen, das soll in einer der ehemaligen Sanatoriumsvillen sein.«
    »Ist es auch. Haus ›Veronika‹. Ja, gehen Sie dorthin! Aber Obacht, die Fußroste nicht ohne Badesandalen betreten, Fußpilzgefahr«, rief Ingenieur Stahl gehässig.
    »Hör mal, Gerhart, das ist auf Dauer keine Lösung«, versuchte Meno ein wenig abzuwiegeln. »Wir müssen uns alle irgendwie arrangieren. Wir werden schon eine Lösung finden. Wir könnten ja reihum ins Badehaus gehen, dann wäre das Bad jeden Tag für zwei Parteien nutzbar, und als Toilette haben wir noch das Plumpsklo im Gartenhaus.«
    »Das kannst du gerne wieder fitmachen«, empörte sich Sabine Stahl, »viel Vergnügen, vor allem jetzt im Winter!«
    »Darum würde ich mich kümmern«, sagte Herr Honich.
    Ingenieur Stahl warf wütend die Arme hoch. »Sagt, was ihr wollt, mich kriegt ihr nicht auf diese … Schlotte! Und wie habt ihr euch das mit dem Badehaus morgens gedacht? Sollen Sabine oder ich morgens mit den Kindern da rübertraben, daß sie sich den Tod holen bei der Kälte?«
    »Ich werde mich bei der KWV melden, Bürger Stahl, und versuchen, was ich tun kann.«
    »Hören Sie doch auf mit diesem ›Bürger Stahl‹. Ich werde eine Eingabe schreiben. Unglaubliche Zustände!«

    »Seltsame Dinge gehen vor in Moskau, seltsame Dinge«, raunte die Zeitungsverkäuferin Meno eines Morgens zu, als sie ihm, er wartete rotnasig und verschnupft an der Haltestelle der 11, das Exemplar der »Iswestija« durch das Fensterchen reichte, in dem sie gerade gelesen hatte.

    Am 12. Februar um 20 Uhr, Richard und Anne waren bei Regine zu Besuch, klingelte ein Bote und gab eine Benachrichtigung ab, daß sich Regine am nächsten Morgen im zweiten Stock, FlügelF der Kohleninsel, zu melden habe. »Ruf uns sofort an, was die wollen«, sagte Anne. »Ich habe morgen frei, und wenn du das Auto brauchst, könnte ich dich fahren.«
    »Ich habe die Auflage, das Gebiet der DDR bis 0.00 Uhr zu verlassen«, murmelte Regine am nächsten Morgen ins Telefon. Richard war gerade aus dem OP gekommen.
    »Ist irgendwas Schlimmes, Herr Oberarzt?« erkundigte sich eine der Schwestern besorgt. »Sie sind auf einmal ganz blaß!«
    Richard wehrte ab. »Regine, ich kann heute wahrscheinlich normal Schluß machen. Ruf Anne an, sie hat das Auto. Heute abend habe ich Theaterdienst.«
    »Sie Glücklicher!« rief die Schwester, »Mein Mann wollte Ihnen fünfhundert Mark zahlen, wenn er diesen Dienst hätte machen können.«
    Regine legte auf. Richard saß noch sekundenlang reglos.
    Nach Dienstschluß nahm er ein Taxi in die Lene-Glatzer-Straße. Meno und Hansi packten Koffer in den Hoffmann-Lada. Die Tür zu Regines Wohnung stand offen, im Hausflur brannte Licht. Jemand hatte seinen Aschkasten in Philipps Kinderwagen ausgeleert. Auf Neuberts Briefkasten ein Pflasterstreifen, darauf mit Filzstift geschrieben »Verräter«. Richard riß es ab.
    Im Wohnzimmer saßen Regine und Anne und weinten. Meno hatte Regine geräumige, solid gezimmerte vietnamesische Teekisten besorgt, die der Hermes-Verlag für größere Buchsendungen benutzte. Nach Richard kam Hansi herein, sechzehn Jahre alt inzwischen, fast so groß wie Richard. »Mama, wir müssen uns beeilen, der Zug fährt um 22 Uhr, und sie haben Glatteis angesagt«, mahnte er.
    »Hast du die Schneeketten dabei?« fragte Richard Anne, die mit den Schultern zuckte. Richard lief nach draußen. Die Schneeketten waren noch im Keller, oben in der Karavelle. Zu spät, sie zu holen. »Fährst du mit? Prima. Paß auf, daß Anne vorsichtig fährt, ja?« bat er Meno. Hansi kam mit Gepäckstücken, sie hatten dreizehn Koffer für die Fahrt gepackt. Einige mußten sie aufs Dach schnallen. Der Tag war mit der Abarbeitung des Laufzettels vergangen: Staatsbank, Schuldenfreiheit bescheinigen lassen, Wohnungsamt, Schulbehörde, Ausbürgerung mit Identitätsbescheinigung.
    »Na, Hansi, deine Geige ist ja kein staatswichtiges Kulturgut«, versuchte Richard zu scherzen. Der Scherz

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