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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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mißlang, der Junge sah nervös auf die Uhr. »Wir müssen noch zu Opa, uns verabschieden –«
    »Ich sag schon mal tschüß, Hansi; ich muß bald los.«
    »Du bist heut’ in der Semperoper?« Der Junge blickte ihn an, in einer Mischung aus Wehmut und Verständnislosigkeit.
    »Konnte den Dienst nicht tauschen.«
    »Na, tschüß … Darf ich Richard zu dir sagen? Das blöde ›Onkel‹ stimmt ja nicht.«
    Richard trat auf den Jungen zu und umarmte ihn linkisch. »Leb wohl, Hans. Grüß deinen Vater. Und viel Glück da drüben.«
    Regine kam mit zwei Koffern heraus. »Kurz und schmerzlos …« »Ja, kurz und schmerzlos. Ist immer am besten.«
    »Vielen Dank für alles, Richard. Und wenn’s so weitergeht, kommt ihr nach …«
    »Und heute ist Schluß«, sagte Richard.
    »Hoffentlich geht nichts mehr schief. Hansi, hast du alles?«
    »Heut’ siehst du Jürgen wieder –«
    »Ich weiß gar nicht, ob ich lachen oder weinen soll«, sagte Regine. »Diese Zustände! Eine Wut hatte ich, und dann mußte ich heulen … Erzähl mir von der Oper, wie’s war, wie sie gespielt haben, was die Leute gesagt haben … Die Pegasus-Medaillons überm Wallenstein und der Iphigenie, die sind von Jürgen!«
    »Ruf an«, sagte Richard.
    »Ich werd’ schreiben«, sagte Regine.
    Hans tippte vorsichtig mit dem Fingernagel auf seine Uhr.

42.
Eiserner Vorhang
    Richard hob die Arme. Der Leibwächter flöhte ihn ab. »Ich muß Sie bitten, sich auszuziehen, Doktor.«
    »Wollen Sie das bei jedem Besucher so machen?« fragte Richard mehr erstaunt als ungehalten, als er in einem Raum neben der Garderobe zuerst von einer Vorhut des ostdeutschen, dann des westdeutschen Personenschutzes untersucht wurde. Sieleuchteten ihm sogar in den Mund, besahen sein Haar und ließen sich auch nicht durch Protest davon abbringen, seine Intimzonen zu inspizieren.
    »Glauben Sie, ich habe eine Giftkapsel in meinem Hintern versteckt? Ungeheuerlich, wie ich hier behandelt werde!«
    Die Leibwächter blieben unbeeindruckt. »Hat man Sie nicht instruiert?«
    »Nicht über Ihre Methoden!«
    »Wir haben unsere Befehle. Sie als Arzt könnten in Kontakt mit den Schutzpersonen kommen. Halten Sie sich bitte nachher für eine Inspektion bereit. Die beiden Leibärzte werden mit Ihnen den Krankenraum, Medikamente und den Arztkoffer kontrollieren. – In Ordnung, Sie können sich wieder anziehen.«
    Richard hatte sich zwei Stunden vor Premierenbeginn in der Semperoper einfinden müssen. Voller Wut über die entwürdigende Untersuchungs-Prozedur warf er seinen Mantel auf die Garderobentheke. Wie ein Verbrecher! dachte er. Und da wundern die sich, daß ihnen die Leute weglaufen … Er dachte an Regine und Anne, die jetzt unterwegs sein mußten. Bei einigermaßen guten Straßenverhältnissen konnten sie in anderthalb, zwei Stunden in Leipzig sein.
    »Wenn Sie wollen, können Sie noch ein wenig durchs Haus gehen, Doktor. Sie kriegen ein Walkie-talkie, wir rufen Sie, wenn der Vorauskonvoi eintrifft.« Das Funkgerät des Leibwächters meldete sich. »Aha. Gut. – Das war er schon. Sie werden gebeten, noch einmal telefonisch sicherzustellen, daß die entsprechenden Krankenstationen in der Stadt vorbereitet sind. Sie werden um Rückruf gebeten.«
    »Vom Generalsekretär?«
    Der Leibwächter forschte in Richards Gesicht. »Von seinem Leibarzt natürlich. Informieren Sie mich, wenn Sie soweit sind, ich stelle die Verbindung her.«
    »Wo kann ich anrufen?«
    »Da drüben.« Der Leibwächter wies auf das Zimmer neben dem Untersuchungsraum. »Es sind direkte Leitungen geschaltet.«
    »Müller.«
    »Hoffmann.«
    »Ja, bin bereit, wie oft werde ich heute abend noch angerufen, verdammt noch mal«, knurrte Richards Chef.
    »Tut mir leid, ich bin angewiesen worden, die Verbindungen zu prüfen.«
    »Hm. Na schön, sie scheinen zu funktionieren. – Und?«
    Richard schwieg, er wußte nicht, was Müller meinte.
    »Wie sieht sie aus, die Oper?«
    »Hab’ noch nichts gesehen.«
    »Hm. Ich erwarte morgen Ihren Bericht, Herr Hoffmann, wenn ich schon für meinen Oberarzt Hintergrund schieben soll! Haben Sie genügend Batterien für Herzschrittmacher dabei?«
    »Konnte ich noch nicht überprüfen.« Richard mußte lachen.
    »Esse gerade ein Stück Kirschkuchen nach dem Rezept Ihrer Gattin«, knurrte Müller. »Sehr gut, aber die Oper wär’ mir lieber! Na, viel Vergnügen.« Und legte auf.
    Richard rief die Innere Klinik an. Reucker gab ihm ein paar Tips, was er bei Herz-, Schlag-, Asthmaanfällen tun

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