Der Turm
selbstverständlich.«
»Das verraten wir nicht. Anne sagt, daß du dir schon immer ein schönes Barometer gewünscht hast. Na, hier ist es.«
»Meno …«
»Wir haben zusammengelegt«, unterbrach Anne. »Es ist ein Geschenk der Familie an dich. Jeder hat nach seinen Möglichkeiten gegeben, und wenn wir’s ins Wohnzimmer hängen, ich hab’ mir gedacht, an das Wandstück über dem Fernseher, haben wir ja schließlich auch alle was davon, nicht?«
Richard umarmte Emmy und Meno, küßte Anne, dann seine Söhne, die beide das Gesicht verzogen – es war ihnen peinlich vor all den anderen, vor allem vor Reglinde und Ina.
»Danke, meine Lieben. So ein schönes Geschenk … Ich danke euch allen. Und ich dachte an einen oder zwei Pullover, einen Schlips oder ähnliches … Ihr habt euch alle so in Unkosten gestürzt für mich …«
»Kommt, setzt euch«, sagte Anne. Meno packte das Barometer vorsichtig wieder ein, legte es auf den Geschenketisch zurück. »Schönes Stück, feine Arbeit.« Niklas nickte anerkennend. »Jetzt weißt du immer, wie die Großwetterlage ist, Richard.«
»Tauwetterlandschaft?« fragte Sandor schmunzelnd, der sich bisher kaum an der allgemeinen Unterhaltung beteiligt hatte. »Ja, das werden wir sehen.« Niklas wischte sich über den Rücken seiner mächtigen Adlernase, auf der man noch den rötlichen Abdruck der Brillenstütze sehen konnte. »Das werden wir sehen«, wiederholte er nickend und zog die Stirn in Falten.
Kleine Gesprächskreise bildeten sich. Ulrich und Kurt Rohde unterhielten sich leise, Emmy, Barbara und Gudrun hörten Alice zu; die beiden Mädchen hatten die Köpfe zusammengestecktund tuschelten kichernd. Adeling, der als einziger Kellner im Raum geblieben war, brachte Wein, Radeberger und Wernesgrüner Pils, Margonwasser und Gläser; Anne Schalen mit Gebäck und Nüssen. Ezzo und Robert fachsimpelten über die letzten Spiele von Dynamo Dresden; Christian hörte den Männern zu, die, wie fast immer bei solchen Anlässen, über Politik sprachen. Besonders Richard war hier in seinem Element.
»Wenn man bedenkt, was dieser Andropow gesagt hat … Habt ihr das gelesen? Es stand ja groß und breit in allen Zeitungen … Natürlich wieder das übliche Blabla. Sandor, Alice, habt ihr Lust auf einen Schnellkurs in ›Wie schreibe ich drei Seiten Zeitung voll, in schmalrheinischem Format, ohne ein einziges klares Wort zu sagen‹? Das muß man sich alles herausklauben und zusammenreimen. Ich empfehle euch die Lektüre unserer Wurst- und Käseeinwickelpapiere namens ›Sächsische Neueste Nachrichten‹, ›Sächsisches Tageblatt‹ und, vor allem, ›Sächsische Zeitung‹!«
»Richard, nicht so laut«, dämpfte Anne ab, sich ängstlich umsehend.
»Versteh’ schon. Habt ihr das gelesen?«
»War ja nicht zu übersehen«, brummte Niklas. »Aber ich tu’ mir diese Bleiwüsten nicht mehr an. Immerhin ist mir aufgefallen, daß er weiter voran auf dem Kurs des XXVI. Parteitages schreiten will.«
»Hättest du was anderes erwartet?«
»Nee. In der Kapelle haben sie auch schon diverse Sprüche darüber gemacht, zum Beispiel, er hätte sagen sollen, weiter voran auf einem ganz anderen Kurs …«
»Und weg vom Hochprozentigen. Guckt euch die Typen an, die an Breshnews Sarg vorbeidefiliert sind. Die gedunsenen Gesichter! Alles Säufer, meine Hand dafür. Fünfundzwanzig Jahre Nachtdiensterfahrung. Sozialismus – kaputte Leber und Ösophagusvarizen. ’ne blutrote Fahne hat er ja schon.«
Anne griff nach Richards Arm. Er senkte die Stimme, so daß alle sich etwas vorbeugen mußten, obwohl er deutlich sprach, fast scharf.
»Ösophagusvarizen? Was ist das?« Reglinde wollte ablenken, Christian fand es doof, daß man aus Höflichkeit daraufeingehen mußte und daß dieses Eingehen wie Hereinfallen aussah, da Richard umständlich zu erklären begann.
»Ich habe mir auch die Mühe gemacht, das zu lesen. Ich finde interessant, daß sie nicht schreiben, daß Genosse Juri Wladimirowitsch Chef des Geheimdienstes war«, sagte Meno nachdenklich.
»Warum sollten sie auch? Schau mal, das versteht sich doch von selbst. Breshnew hat rund zwanzig Jahre regiert. Nun ist er tot. Wer soll der Nachfolger sein? Natürlich der, der das Land am besten kennt. Der Geheimdienstchef.«
»Paß auf, Richard, etwas leiser, wer weiß, ob nicht auch hier …« Anne warf einen mißtrauischen Blick auf Adeling und wehrte ab, als er eine Haltung einnahm, als wollte er sogleich einen Schritt vorwärts tun. »Nein, es
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