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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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zurückgegangen, was Richard wunderte – interessierte er sich gar nicht dafür, was Dietzsch ihnen zeigen wollte und wofür sie einige Kilometer gefahren waren; der Steinbruch befand sich in Lohmen, einem kleinen Ort bei Pirna. Dietzsch hatte viel Wesens gemacht und die Miene eines Mannes angenommen, der beschließt, »jetzt mal wirklich etwas kucken zu lassen«, wie gesagt wurde, »ich weiß ja von Ihrem Hobby, Doktor Hoffmann, und Sie haben mir dieses schreckliche Karpaltunnel-Dingsda prima wegoperiert; ich glaube, ich hab’ da was für Sie«. Stahl beobachtete zwei Bildhauer, die am anderen Ende des Steinbruchs arbeiteten. »Jerzy, unser Pole, und Herr Büchsendreher«, rief Dietzsch ihm zu, wies auf einen Felsen über ihnen, der mit bärtigen Gesichternbemalt war, »Jerzys Arbeit, Kunst ist Waffe; aber er tut niemandem etwas.«
    Stahl schirmte die Augen mit der Hand, ließ den Blick über die Felskanten gleiten, das dichte Gestrüpp darüber. »Sagen Sie, gibt’s hier nur den einen Zugang vorn übers Tor?« Stahl drehte sich nicht zu Dietzsch um, musterte Kipploren, Flaschenzüge an Gestellen über Sandsteinblöcken, Gleise, die vom Tor zu einigen verloren in der Sonne brütenden Waggons führten, nahm die Hand herunter und wieder hoch, als Dietzsch antwortete; die Sonne schüttete grelles Licht über herumliegende Rohlinge und vereinzelt stehende Skulpturen.
    »Ja, und für gewöhnlich ist er abgeschlossen, selbst wenn wir hier arbeiten. Wir mögen Besuch nicht besonders, wissen Sie, schon gar keinen unangekündigten. Manchmal kommen Kinder, die haben’s schon fertiggebracht, uns Skulpturen zu zerschlagen. Sind übers Tor geklettert. Wir haben Stacheldraht aufgeschweißt, seitdem ist Ruhe.«
    »Wie kommen wir dann hier rein? Durchs Gestrüpp?«
    »Da kommt keiner durch. Jerzy hat’s schon probiert, ist keine zwei Meter weit gekommen. – Wenn wir das Geschäft machen, kriegen Sie einen Schlüssel von mir. Sie kämen dann auch am Wochenende rein, da ist hier für gewöhnlich niemand. Strom haben wir, Wasser müßten Sie sich mitbringen, hier gibt’s nur einen Anschluß, wird übers Wochenende gesperrt.« Dietzsch wuchtete den Riegel zurück, öffnete die Schuppentür, ließ Richard und Stahl den Vortritt. Die Augen mußten sich ans Halbdämmerdunkel gewöhnen. Der Bildhauer scheuchte einige Hühner weg, die wohl durch das schadhafte Dach in den Schuppen gefunden hatten. Einzelne Verschläge teilten den großen Raum, in dem ein Durcheinander von Skulpturen, Obstkisten, Benzinkanistern, Werkzeug herrschte, ganz links Strohballen und Pferdekummets, ein unförmiges Etwas unter einer Persenning. Dietzsch riß sie weg. »Für fünftausend Mark, dachte ich, ist er Ihrer.«
    »Hispano-Suiza«, Stahl beugte sich über den Kühler.
    »Moment«, Dietzsch machte sich an einem Fensterladen zu schaffen, die plötzlich einbrechende Helligkeit blendete.
    »Ein Oldtimer.« Stahl ging langsam um das Auto herum. Richardwar hinter dem Bildhauer stehengeblieben, immer hinter dem Verkäufer halten, das war Arthurs Taktik, wenn er auf Uhrenkauf oder -tausch ging; nie zuerst etwas über die Ware sagen, wenn überhaupt reden, dann etwas Beiläufig-Belangloses, um die Stimme in den Griff zu bekommen, Erwartungen zu enttäuschen, Spannung abzuleiten, keine verräterischen Gesten, keine Gleichgültigkeit, die als eine gespielte durchschaubar sein konnte.

    – Stundenlang konnte er seinen Zuhörern von Karosserien vorschwärmen , schrieb Meno, bloßen Hüllen – freilich hätte er sie nie so bezeichnet – für Technik, die mir nichts sagte und mich (ich nahm an, wie die meisten Gäste, vor allem die Frauen) langweilte; was mich nicht langweilte, war er, ein Chirurg, der die Hände hob und Formen andeutete, zärtlich und beschämt, als ob es Frauenkörper wären, die der Arzt in ihm mit fachlichem Blick und dennoch empfänglich ansah; Namen prasselten auf unsere armen Köpfe nieder, nur Robert schien Feuer zu fangen, spielte seinem Vater die Namen wie Tischtennisbälle zurück. »Saoutchik: Meno, hast du das gehört? Ist das nicht ein Name, ein Klang, bei dem es einem heiß den Rücken herunterläuft? Maybach und Duesenberg, Rolls Royce und Bugatti – klingt das nicht wie ausgestorbene Riesentiere? Diese Konstruktionszeichnung, wie die Linien ineinanderspielen, elegant und klar, also, wenn du mich fragst, Meno, was Poesie ist: Das ist es! Wenn ich Maler wäre, ich würde solche Konstruktionsblätter malen. Gerhart Stahl, ich rufe

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