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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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gelb wurden – zu heizen seien; höchstpersönlich nahm er die Stuben- und Spindkontrollen vor und fahndete nach Alkohol, Westzeitschriften oder geheimgehalteten Radios; höchstpersönlich drückte er nach Dienstschluß das Aluminium-Petschaft in die mit Knetmasse gefüllten Kronkorken an den Türen der Geheimnisträger. Und höchstpersönlich wachteer darüber, daß vor dem Besuch hoher Tiere auch die Birkenstämme an der Straße vor dem Bataillonsgebäude abgewaschen wurden. Beim Morgenappell kontrollierte er die Kragenbinden und zog eine angeekelte Grimasse, wenn er eine schmutzige entdeckte. Die Vorgänge um die jungen Soldaten waren ihm, wie den Offizieren auch, genau bekannt; Beschwerden versandeten oder wurden abgewehrt, Schlückchen meinte, die E-Bewegung gehöre zur inneren Erziehung der Truppe. Zu seinen liebsten Vergnügungen gehörte es, nachts heimlich in die Kaserne zu kommen. Wenn Christian UvD stand, roch er die Schnapsfahne schon, bevor Schlückchen die Treppe hochgestapft kam. Laut Vorschrift hätte der Diensthabende Meldung machen müssen, aber Schlückchen legte einen Finger auf die Lippen, klopfte auf eine Tasche, die über seinen Schultern hing. In der Tasche steckte der »Erpel«, Stabsoberfähnrich Emmerichs persönliche Handsirene. Betrunken und glücklich wankte Schlückchen durch den abgedunkelten Flur, nachdem er die Waffenkammer aufgeschlossen hatte, drehte die Kurbel des »Erpels« wie ein Leierkastenmann, johlte: »Vierte Komp’nie: Gefechtsalarm!«
    Eines Tages befahl Schlückchen Christian zu sich ins Zimmer. Er ließ eine Reihe Postkarten über den Daumen schnurren. »Hoffmann, der Brief ist beschlagnahmt. Da sind ja Markierungen aus dem nichtsozialistischen Ausland. Vom Klassenfeind! In ein Objekt der Nationalen Volksarmee!«
    Christian erkannte Inas Schrift auf dem Umschlag.
    »Genosse Stabsoberfähnrich, Kuba ist ein sozialistisches Land. Meine Cousine war dort auf Hochzeitsreise.«
    »Es ist aber ein Stempel von Hamburg drauf. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten. Wir hängen es an die große Glocke, du beschwerst dich … oder wir lassen den Brief in der Versenkung verschwinden. Du solltest mir dankbar sein. Laut Vorschrift …«
    Christian starrte auf Schlückchens Topfpflanzensammlung. Anne hätte ihm geraten: Laß ihm doch den Brief. Meno hätte wohl abgewartet, was sein Neffe tun würde, in seiner interessierten, kalt beobachtenden Wissenschaftler-Art. Robert hätte gesagt: Verkauf ihm den Brief. Du siehst doch, wie scharf er darauf ist, die arme Suppe. Versuch was rauszuschlagen. Nur Richard wäre wütend geworden; Richard, von dem Christian den»Gerechtigkeitsfimmel«, wie Barbara sagte, geerbt hatte. Aber sein Vater war nicht hier. Was passieren würde, wenn er auf Herausgabe des Briefs bestand, interessierte Christian schon. Das Hoffmannsche Husarentum. Die Kugel werfen und sehen, was das Roulette zeigt. »Zu Befehl, Genosse Stabsoberfähnrich.«

48.
ORWO-Schwarzweiß
    Schluckern und Tuckern, Dröhnen und Stöhnen, bubumm, bubumm,
    »Da klappert was, mach mal die Tür zu, Robert.« – »Ist zu.« – »Ich sag’ doch, da klappert was«, bubumm, bubumm,
    Schleichen (die Staus am Berliner Ring) und Schlatzen (die heißen Pneumants über Asphaltwülste, die aus den Fugen zwischen Betonplatten quollen), Schmatzen (hartgekochte Eier, Wurstbrote, Gelbe Köstliche, geschälte Gurken und Möhren an den Betontischen der Autobahn-Rastplätze) und Seichen (sagte Niklas, man könne es ja nicht anders bezeichnen, wenn man in die dürren Kiefern neben den Rastplätzen müsse, wo Plasttüten, leere Flaschen, fliegenumwölkte Vorgänger-Spuren – für die Frauen führte ein Pfad ins Innere des Wäldchens –, rauhe Mengen Toilettenpapier zu sagen schienen: Oh Gott, wie waren wir fröhlich), bubumm, bubumm,
    Plaste und Elaste aus Schkopau, bubumm,
    schneller – höher – weiter, bubumm,
    Plaste und Elaste aus Schkopau, bubang (Schlagloch),
    Vorwärts zum … Parteitag der SED, bubumm,
    Plaste und Elaste aus Schkopau, buteng (tiefes Schlagloch),
    Tanken (VK 88, der Kraftstoff, der dich weiterbringt), bumm (Schlagkrater – Niklas fuhr an den Seitenstreifen und sah nach: Die Stoßstange war noch dran),
    und Danken (noch mal davongekommen, ächzte Gudrun in Stralsund, man bog sich gerade):
    so fuhr man in den Urlaub durch die Deutsche Demokratische Republik.
    Stralsund war eine traurige Stadt. Keine stolzen Hanse-Wimpel mehr, keine hehren Regatten, und Störtebeker war tot. Kopflos war

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