Der Turm
genügen, daßdas nützliche und sinnvolle Experiment Sozialismus kollabiert. Wie stehen unsere Angelegenheiten in der Thomas-Mann-Straße?« Dort befand sich die Zentrale des Hermes-Verlags. Meno zögerte. Arbogast suchte aus der Innentasche seines eleganten, weißleinenen Sommeranzugs ein Brillenetui hervor, wechselte die Gläser und betrachtete vorgebeugt, mit leicht geöffnetem Mund, einen Rotfeuerfisch, der träge seine Stachelflossen fächerte. Die zuckerstangenhaft rotweiß gestreiften Antennen waren aufgerichtet.
»Wir sind auf der langen Bank.«
»Heinz, Heinz«, Arbogast tippte ans Glas, der Rotfeuerfisch drehte ab, »so geht man nicht mit originellen Projekten um. – Sie haben doch Urlaub? In hiesigen Gewässern«, Arbogast hob ironisch eine Braue.
»Auf Hiddensee.«
»Kloster? Hab’ ich’s doch getroffen. Ich kann Sie mitnehmen.« »Wir sind zu sieben«, log Meno.
»Schöne Ziffer. Meist ist einer zuviel, und es gibt Streit. Nichts für ungut, Sie wissen, ich bin für Scherze. Der da ist auch einer, den sollten sie ins Quarantänebecken setzen.« Ein Petermännchen mit halbierter Schwanzflosse lahmte vorüber. »Für mein Schiff wäre es kein Problem, sieben Leute mehr zu transportieren.« Eine regelrechte Jacht sei es, erklärte Arbogast, und natürlich nicht nur zum Boddenschippern gedacht. Auch seine Frau sei mit von der Partie, es gehe über die Ostsee hinauf in die Sowjetunion, er verfüge über die Genehmigungen zum Befahren der Territorialgewässer, Nachtsegelgenehmigung und PM 19, die Erlaubnis zum Törn ins sozialistische Bruderland. Meno zögerte.
»Na, ich habe Sie überfallen. Kommen Sie doch wieder einmal zu unseren Abenden! Man vermißt Sie schon. Wir haben ein interessantes Programm.« Arbogast winkte Kastschej.
Hühnergötter hielten Unheil ab. Im Saisonarzt-Bungalow hingen einige über der Tür zum Warteraum, auf eine verbleichte Wäscheleine gefädelt, zwischen den Steinen durchbohrte blendweiße Muscheln. Einen abzunehmen und für später einzustecken hätte bedeutet, Glück zu stehlen, und das galt nicht; wederChristian noch Robert rührten die Kette an. Echte Hühnergötter waren schwer zu finden. Im graugelben Sand des Boddenstrands fand man leere Tintenpatronen, Glasscherben, vertrockneten Hundekot und wenn es hoch kam einen verrosteten Schlüssel; aber die weißen, von der See rundgeschliffenen Flintsteine mit einem Loch, durch das man eine Schnur ziehen konnte, waren selten. Meist war ein mehr oder minder tiefer Nabel in den Stein gehöhlt. Aufbohren galt nicht. Das Loch mußte durchgängig sein, ein Talisman-Auge für die Aussicht vom Fuhlendorfer Strand über den Bodstedter Bodden bis zum Darß, für die perlmuttweißen Kugeln, die das Badegebiet einkarrierten, den Steg mit Bootshaus, die Reusen weiter draußen, auf denen Kormorane und Möwen hockten; durchgängig für den Ostseehimmel, das Schilf, in dem sich der blaßhaarige, sommersprossige August wiegte. Anne fand den Bodden zu warm, zu flach, zu unappetitlich. Kinder mit bunten Plasteimern bauten Kleckerburgen, warfen im Wasser mit Schlamm, paddelten, während ihre Mütter unter Sonnenschirmen dösten, auf Luftmatratzen und träumten, sie wären auf der Kon-Tiki, unter ihnen fünftausend Fuß Humboldtstrom voller Bonitos und Schlangenmakrelen, über ihnen Passatwolken, vor ihnen Südseeinseln. Im Bodden gab es Kaulbarsche, Plötzen, selten Aalmuttern. Für Zander brauchte man ein Boot. Robert hatte seine Angelausrüstung dabei und ging auf Friedfische, Christian nahm die Spinnrute, knüpfte das Wolfram-Vorfach an eine fünfunddreißiger Schnur grün, warf Löffelspinner und Zepp-Blinker. Kaulbarsche bissen, kleine getüpfelte Kerle mit Stachelflossen und Riesenappetit, manche waren kürzer als der Blinker, den sie für Beute gehalten hatten.
Der Saisonarzt, für drei Wochen im August hieß er wechseltäglich Richard Hoffmann, Niklas Tietze, bewohnte mit Familie den Bungalow an der Dorfstraße. Eine weiße Fahne mit rotem Kreuz wurde ausgerollt und in die Halterung neben einer mückenverklebten Lampe gesteckt. Sobald die Einwohner Fuhlendorfs, des nahen Bodstedt und der Gemeinden bis hin nach Michaelsdorf die Fahne sahen, erinnerten sie sich verschiedener Gebrechen, die den weiten Weg bis in die Poliklinik Barth nicht vertrugen, und besetzten schweigsam und befugt die mit Plastleinen bewickelten Warteraumstühle. Es gab vier Zimmer im Bungalow,davon diente eins als Praxis. Zwei WC (privat und Patienten). Die
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