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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Costa und EK …« Ruden winkte verächtlich ab. »Kann mir gar nicht vorstellen, wie der die stolze Tradition der E-Bewegung hochhalten will. Na, Wanda wird’s schon richten.«
    Costa hörte gern Musik, am liebsten die schwermütige von Leonard Cohen; als Vize durfte er einen Plattenspieler haben. »Mensch, bist du beschränkt, Ruden. Willst du nicht studieren? Schmeißt mit lateinischen Brocken um dich … Ich bin bloß ’n Elektriker, aber es könnte sein, daß meine Birne heller brennt als deine.«
    Im Politunterricht hörten sie von der klaren ideologischen Position der sozialistischen Armeeangehörigen, von der Gefahr eines atomaren, die Existenz der Menschheit bedrohenden Krieges, die der Imperialismus heraufbeschworen habe, von den Aufgaben, die vor ihnen, den Genossen Unteroffizieren und Soldaten, stünden. Der Sozialismus brauche klassenbewußte, gut ausgebildete und standhafte Kämpfer, die jederzeit zuverlässig ihre militärische Pflicht erfüllten, damit durch die Kraft des Sozialismus die friedliche Zukunft der Menschheit gesichert und der Sieg über den Krieg errungen werde, bevor dieser ausbreche. Sie sangen. Sangen das Lied vom Feind. Der Politoffizier hatte gefragt, wer ein Instrument spielen könne. Costa und Popov konnten ein paar Griffe auf der Gitarre. Soldat, du hast ein Gewehr in der Hand, / und ein Arbeiter hat es dir gegeben, / und du trägst das Gewehr für dein Vaterland, / und du bürgst für das Arbeiterleben. // Der Feind ist ohne Erbarmen und schlau, / und er nahm uns schon manchen Genossen, / er fragt nicht nach Liebe, nach Kind und Frau / und nach Tränen, so bitter vergossen …
    In der Freizeit saßen sie im Kompanieaufenthaltsraum zum Gemeinschaftsempfang der »Aktuellen Kamera«, bastelten Panzer aus Streichhölzern für den Solibasar einer Pionier-Patenschaftsklasse, schrieben Briefe. Muska hatte sich in voller Montur aufzustellen und wurde von einem Soldaten für das Bataillonstagebuch porträtiert: »Der Panzersoldat«. In der FDJ-Gruppe wurden die Leistungen der Genossen Armeeangehörigen ausgewertet. Christian, der noch unerfahren war und den Panzer nicht richtig beherrschte, wurde in den Technikzirkel delegiert, den sein Zugführer leitete. Nach dem Dienst ging der Technikzirkel in den Park. Es läßt sich nur eine Gewähr / gegen den Aggressor schaffen: / besser gerüstet sein als er / und besser geübt in den Waffen!
    Stabsoberfähnrich Emmerich, genannt Schlückchen,schwankte beim Postverteilen, und wenn er die Namen verlas, wenn er Befehle erteilte, artikulierte er nicht richtig, seine Stimme schrammte über die Umrisse der Worte, grunzte die kurzen heraus und verrührte die mehrsilbigen zu einem Sprachbrei, aus dem das geschärfte Ohr der Soldaten herausfischte, was er, der Kompaniespieß, wollte. Schlückchen hatte das strohige Haar und die aufgespannt wirkende Gesichtshaut schwerer Trinker, und in den großen, schrägen Poren seiner Haut steckten Mitesser tief und unzugänglich wie Wespenpuppen in ihren Brutröhren. Er hatte fünfzehn Jahre gedient und war in Ehren entlassen worden, aber zu Hause, in einer Neubauwohnung am Rand des Städtchens Grün, hatte er mit sich nichts anzufangen gewußt. Die Kompanie war sein Reich, die Soldaten waren seine Zöglinge, er kümmerte sich von früh bis spät um frische Wäsche, Urlaubsanträge, Reparaturen, ließ die Badeöfen heizen, organisierte Tee und belegte Brote für die Truppe, wenn sie müde und dreckig aus den Feldlagern in die Kaserne zurückkehrte. Er wußte nicht mehr, wie viele Truppenübungen er mitgemacht hatte. Er war bei den legendären »Waffenbrüderschaft«-Manövern dabeigewesen, er kannte Kapustin Jar in Kasachstan, wohin Bataillone des Panzerregiments 19 »Karl Liebknecht«, in dem Christian diente, mit Artillerieeinheiten anderer Regimenter fuhren; er kannte alle Truppenübungsplätze der Republik, wußte um die Tücken der Schieß- und Fahrstrecken. Er teilte das Bohnerwachs zum Flurblockern aus, er genehmigte die Radios, er ließ bei den Kassettenrecordern die Kassettenfächer petschieren, er markierte mit Filzstift die erlaubten Sendereinstellungen. Ihm unterstanden Unteroffizier und Gehilfe des Unteroffiziers vom Dienst, höchstpersönlich machte er sie auf Much in den Zimmern aufmerksam (Christian lernte, daß so der Schmutz bezeichnet wurde, ein anderes Wort dafür war Siff ), höchstpersönlich leitete er die beiden an, wie die Öfen im Bataillonsstab – wenn die Bäume an den Objektstraßen

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