Der Turm
keuchte: »Der Diesel! Jemand hat den Diesel aus ’m Notstromaggregat abgezapft!«
»Quatsch.«
»Wenn ich’s sage, Wolfgang! Und keine Reserve, ich werd’ verrückt!«
»Es muß doch im ganzen Klinikum ’n paar Scheiß-Liter Diesel geben! Im Fahrstuhl stecken Leute fest!«
»Schon in Arbeit, müssen wir aufstemmen. Innere und Gyn haben Diesel, aber den brauchen sie für ihre Aggregate.«
»Papa«, meldete sich Robert, der sich in eine Ecke der Kanzel gequetscht hatte, »vorn am Parkplatz stehen welche vom ZDF. Vier dicke Diesel, hab’s gesehen, als ich zu euch bin.«
Eddi klopfte auf Holz, Robert und er rannten davon.
»Stehen Sie hier nur rum, oder kümmert man sich auch mal um uns?« meckerte ein Mann mit Lederhütchen durch das Schiebefenster der Kanzel. »Oh, Herr Hoffmann«, Griesel wich zurück. »Konnte ich ja nicht ahnen, Herr Nachbar. Es kann doch nicht sein, daß man bei Ihnen so lange warten muß.« Plötzlich änderte sich sein Gesichtsausdruck. »Wäre es nicht möglich …«
»Alle Patienten haben die gleichen Rechte«, antwortete Richard lauter, als Griesel lieb war.
»Mich hat’s auf dem Weg von Arbeit erwischt, wissen Sie …«, lenkte Griesel ein und bückte sich katzenfreundlich. »Übrigens ist unser Haus nicht betroffen.«
Emotionen, die sich ein Arzt nicht leisten durfte, siedeten wie der Brei im Töpfchen-koch in ihm auf, als er Griesel nachsah, der sich durch die Patienten wieder zu seinem Platz drängte; Haß und Verachtung gegen diesen Mann, die Zustände, das ganze System. Einmal davon etwas zurückgeben, Macht mit Macht vergelten können, ein Ventil haben für die ohnmächtige Wut, die sich Tag für Tag aufstaute! Der kommt zuletzt dran, wollte Richard sagen, Wolfgang hätte es verstanden und wahrscheinlich gebilligt. Der zähwurzelige, gefürchtete Korpsgeist der Mitarbeiter des Gesundheitswesens. Richard sagte es nicht. Alle Patienten haben die gleichen Rechte. Das Wohl des Kranken ist das höchste Gesetz, so stand es lateinisch auf einer Tafel im Flur der Notfallambulanz, salus aegroti suprema lex.
Tumult vor dem Eingang, Scheinwerferlicht schwankte hin und her, Schnee pulverte zur Tür herein. Eddi und ein Gehilfe führten Robert, der sich den Arm hielt.
»Bin ausgerutscht und blöd gefallen«, Robert zuckte mit den Schultern, »alles überfroren draußen. Aber Diesel haben wir.« Das Handgelenk war geschwollen, die Hand stand aber nicht in Bajonettstellung wie beim loco-typico-Bruch. Robert schrie leise auf, als Richard untersuchte.
»Speichenbruch nach volar, der untypische Fall.«
»Heißt?« fragte Robert betont gelassen.
»Kribbeln die Finger? Irgendwelche Taubheitsgefühle?«
»Bißchen schon. Kalt draußen.«
»Wir müssen röntgen. Wenn sich bestätigt, was ich denke, heißtdas OP. Du kannst drinnen warten.« Richard wies auf die Kanzel. Als Robert verschwunden war, konnte er sich nicht mehr beherrschen und fluchte. Wäre der Junge mit ausgestrecktem Arm gefallen, dann hätte es ein Gipsverband getan!
»Smith-Thomas?« fragte Wolfgang, der Richard hatte untersuchen sehen, mit dem Fachausdruck für diesen Bruch durchs Kanzelfenster.
»Klinisch ja.« Richard stampfte vor Wut mit dem Fuß auf, für die wartenden Patienten wahrscheinlich ein lächerlicher und wenig vertrauenweckender Anblick.
Müller kam herein, hinter ihm der Mann mit dem Scheinwerfer, gefolgt von einem, der an einem langen, angelrutenähnlichen Ausleger ein Mikrofon trug; drei weitere Männer, in Bügelfaltenhosen und Blousonjacken, hatten den Kameramann überwältigt und zerrten ihn aus dem Schneegestöber, wo ein zweiter Kameramann die Szenerie kaltblütig filmte, in den gestopft vollen Wartesaalbereich hinein, stutzten einen Moment, als sie die vielen Kranken sahen. Der festgehaltene Kameramann nutzte den Augenblick, um sich freizumachen und schreiend zu protestieren. Der Scheinwerfer grub einen Tunnel Grellweiß durch die Ambulanz.
»In meiner Klinik wird nicht gefilmt, und schon gar nicht von Ihrem Lügensender!« rief Müller erbost.
»Aber unseren Sprit nehmen Sie!«
»Der Diesel ist beschlagnahmt«, verkündete einer der drei Herren in Blousonjacken, »dies ist ein Notfall, wir haben Ihnen das schon erklärt.«
»Selbstverständlich bekommen Sie die Ihnen zustehende Treibstoffmenge ersetzt, Bürger Kapitalist«, rief der zweite in die rings entstandene Stille; sogar die beiden Frauen neben dem jungen Mädchen hatten ihr Jammern unterbrochen.
»Wir können jede Hand
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