Der Turm
gebrauchen.« Müller zeigte auf die drei Blousonträger. »Sie helfen beim Beschicken der peripheren Sterilisatoren. Papperlapapp, meine Herren, wir haben keine Zeit für Erörterungen. Sie tun, was ich Ihnen als Leiter dieser Klinik und des Notfall-Einsatzstabes sage, bis Rektor Scheffler und Ihre direkten Vorgesetzten eintreffen! Ohne steriles Material keine OP. Der Zentral-Steri ist ausgefallen. Sie«, er wies auf dieMitarbeiter des Zweiten Deutschen Fernsehens, »machen sich beim Krankentransport und bei der Wegeberäumung nützlich. Pfleger Wolfgang, lassen Sie sie einweisen. Herr Hoffmann, kommen Sie mal bitte.« Müller winkte Richard auf den Flur hinter der Schwingtür zu Vestibül und Stationen. »Auf ein Wort. Eine schwierige Situation inmitten der schwierigen Situation. Eben erhielt ich einen Anruf.«
Und als Richard schwieg: »Einen Anruf von weit oben, Barsano persönlich. Seine Tochter ist auf dem Weg zu uns, wie er wissen will. Bei diesen afrikanischen Verhältnissen draußen … Er bittet mich, daß unser erfahrenster Unfallchirurg seine Tochter operieren möge, falls da etwas zu operieren wäre.«
»Mein Sohn ist verletzt, Herr Professor.«
»Ach.«
»Volare Radiusfraktur, wahrscheinlich ist der Nerv komprimiert.«
»Hm. Aber Sie können doch reponieren und gipsen, Herr Hoffmann. Ich weiß, das hält nicht. Aber bis morgen früh reicht es, und dann könnten Sie in Ruhe ran.«
»Ich möchte nicht bis morgen früh warten. Die Ergebnisse werden nicht besser.«
»Das weiß ich«, gab Müller gereizt zurück, wischte mit der Hand durch die Luft. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Wenn das Aggregat anspringt, haben wir wenigstens wieder Strom auf der ITS, dann kann Herr Kohler zu uns stoßen. Operiere nie einen Verwandten, Sie wissen ja. Sie haben Herrn Kohler doch gut angelernt.«
Richard schwieg erschrocken. An diese Möglichkeit hatte er nicht gedacht. Die Maxime, die er beim Anlernen Kohlers befolgt hatte, stand nicht im Eid des Hippokrates: Sollst du Lehrer deines Feindes sein, bringe ihm gerade soviel bei, daß er den Patienten nicht schadet, aber nicht genug, daß er dich ersetzen könnte.
»Alle Patienten haben gleiche Rechte«, murmelte Richard. Aus dem Fahrstuhlschacht kamen Hebelgeräusche, Metall klopfte auf Metall, jemand rief nach einer Zange.
»Ich kann Sie verstehen, glauben Sie mir. Aber Barsano hat auch über Sie schon seine schützende Hand gehalten. Es gibt Kräftenicht nur hier in der Klinik, die mit Ihren oft recht freimütig geäußerten Ansichten zu gewissen Dingen nicht einverstanden sind.« In den Stein auf Müllers Siegelring schlüpfte ein Rest Taschenlampenlicht von der Süd I. Schön geschliffen, dachte Richard. Bekommt er ihn überhaupt ab, wenn er operieren will? Paßt doch schlecht unter die Handschuhe, und chirurgische Desinfektion ist auch nicht möglich. Warum nicht Robert operieren, gemaßregelt werden und kündigen?
»– Und Bewährungen vorschlagen. Blödsinn, wenn Sie mich fragen. Als ob Sie sich nicht bei uns bewährten.«
Keine Drohung, eher freundliches Bitten um Verständnis. Richard spürte, daß er so nicht weiterkam. »Wir haben keinen Strom bislang, kein Röntgen, wir können doch, wenn überhaupt, nur einen Saal fahren«, versuchte er.
»Das CT läuft wieder. Tellkamp ist informiert, er wartet schon. Die Techniker legen gerade Kabel von der Verwaltung und der Nuklearmedizin zu uns. Wir werden wieder operieren und röntgen können, auch wenn der Strom nicht in Bälde wieder anliegt – womit ich allerdings rechne. Für die ITS dürfte das Aggregat vorläufig ausreichen. – Ich bin mit meiner OP auch erst halb fertig.« Müller schlug einen ungewohnt einfühlsamen Ton an: »Wird schon klappen! Am Ende kommt die Barsano gleich, und Sie können beide operieren. Wer weiß auch, was die hat. Gemeldet: Polytrauma, gekommen: Fußpilz.«
»Warum ausgerechnet hier, kann sie nicht oben im Friedrich Wolf behandelt werden?«
»Die haben bestimmt keinen Stromausfall«, nickte Müller, »keine Ahnung, Herr Hoffmann. – Danke, daß Sie kooperieren.« Die Notfallambulanz leerte sich nicht. Die Ärzte der operativen Fächer hatten Teams gebildet (»Kollektive«, dachte Richard, sagte hier keiner mehr), die Internisten pendelten zwischen den Stationen, der Endoskopie und der Ambulanz hin und her. Jedesmal, wenn Richard glaubte, daß der Patientenstrom abebbte, klappte die Eingangstür auf, und die Schnelle Medizinische Hilfe, ein Taxifahrer, ein Angehöriger
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