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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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rücksichtslosen Herausklopfereien heimzuzahlen, die widerwärtig siegesgewisse Rundfunkmusik, die Honichs Gymnastik begleitete, bevor er die Haustür zuschlug und sich zum Frühsport aufmachte. Aber auch einen Kampfgruppenkommandeur erschöpfte der Winter; nachdem die Kaminski-Zwillinge ebenfalls mit Honich in Streit geraten waren, nahm er wenigstens an den Wochenenden Rücksicht. Meno träumte, schlafen zu können … Chakamankabudibaba aber strich grummelnd ums Bett, und oben hörte Meno schon Libussa mit dem Kohleneimer für den Badeofen hantieren. Er träumte von der Waschküche … Sah die ochsenhaften, mit Ringbändern beschlagenen Waschzuber, noch vom Böttcher gefertigt in früheren Zeitaltern, Qualitätsware, die der Seifenfabrikant sich wohl schuldig gewesen war. Auf Holzböcken dräuten sie über dem Abfluß, der immer wieder verstopfte. Dann mußten die männlichen Hausbewohner mit langen Eisendrähten in der Finsternis darunter stochern, in der Hoffnung, daß die stehengebliebene Waschlauge dann zu den Hangrohren im Garten finden würde … Dorthin leiteten auch die Toiletten des Tausendaugenhauses ab, auch sie neigten zu Verstopfungen; Stahl hatte es Meno so erklärt: Liefen solche Rohre zu steil nach unten, verschwand zwar das Flüssige rasch, das Feste aber blieb liegen – und man mußte stochern. Dafür gab es, aufbewahrt im Gartenhaus, etwa fünf Meter lange Eisenruten mit Ösen, und als Hanna und Meno ins Tausendaugenhaus gezogen waren, hatte der Schiffsarzt einen kleinen Einführungskurs in die Tücken und Besonderheiten des Wohnalltags in einem seit Jahrzehnten unsanierten Altbau gegeben. Hanna hatte über die Waschküche nur ungläubig den Kopf geschüttelt, bis zur Heirat hatte ihre Mutter für sie gewaschen, sie wußte nichts von unzuverlässigen Wasch-»Vollautomaten«, nichts von winzigen Schleudern, in denen die Trommel hochkant stand, die mit zwei Handtüchern schon gefüllt waren und beim Stromgeben mittels Plastbügel, der wie ein Schallplattenabtaster über den Schleuderdeckel ragte, eine solche Unwucht entwickelten, daß das Gerät zu wandern begann, das Wasser aus dem Ablaufschnabel neben die Schüssel lief und die Schleuder sich selbst ausschaltete, indemsie den Stecker aus der Steckdose zog. Meno erinnerte sich, wie Hanna durch die Waschküche gegangen war. Der Waschherd, gemauert und mit eingelassenem Zinkbottich, mußte befeuert werden, Briketts und Holz dazu nahm jede Mietpartei von ihrem Kontingent. Es gab einen Legetisch, Kernseife in klobigen Würfeln, Packungen feinpulveriges Schneeberger Blau, das man der Wäsche, war sie vergilbt, nach der Komplementärfarbenlehre als Weißmittel zusetzte. Wenn man wusch, gab es Wrasen, den warmen, feuchtigkeitsgesättigten, wattig schlappen Dampf, der die Kleidung am Leib kleben ließ, das Atmen zum Kampf und die Küche zum tropischen Ort machte, Wrasen, der als Kochhitze aus dem Kessel brandete, wenn man, geschützt von Gummihandschuhen, den Holzdeckel lüpfte, um mit der Waschkelle (»Butterstampfer«, nannte sie Libussa) den 95°C heißen Schleim umzurühren, in dem, lang, dünn und schön wie eine Schneiderelle, ein Stahlthermometer steckte. Es gab ein Waschbrett für Hemden und Unterwäsche; Meno träumte von schrubbenden Händen, an denen statt Seifenblasen Plektrons wuchsen, zum rhythmischen Schnarren beim Jazz … Unerbittlich senkte sich das Kreissägenkreischen des »заря«-Weckers in seine Betäubung.
    Eine Woche später war die Wäsche gewaschen und auf dem Dachboden der Karavelle getrocknet. Meno und Anne hatten einen Termin für die Mangel bekommen, die sich neben der Dampfwaschanstalt, einem achtzigjährigen Fossil, in der Sonnenleite befand.
    »Na, Herr Rohde«, lockte Udo Männchen in der Dresdner Edition, »brauchen Sie mal wieder einen Haushaltstag?«
    »Sie haben gut reden«, wies Meno das Vergnügen des Typografen von sich, »Sie wohnen Dreiraum-Vollkomfort, und Ihre Frau kümmert sich um Ihre, na, Stoffe.«
    Der Typograf trug jetzt weitärmelige Blusen mit Bündchen über den Handgelenken, selbstgeschneidert, selbstgenäht, Seide und Leinen kombiniert und farbenfroh wie die Flaggen von Entwicklungsländern.
    »Was finden die Leute in der Zentrale nur immer an dieser Garamond. Warum nicht mal eine Baskerville wie bei der Virginia Woolf-Ausgabe, die Insel macht? Dreiraum-Vollkomfort!Sie wollen mich wohl veräppeln? Bei dem Stromausfall neulich war’s Dreiraum-Blindekuh! Ich sage Ihnen, da kommt einiges zu auf die

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