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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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hatte.
    »Hanebüchne Leute müssen das sein. Lassen sie dich inzwischen einigermaßen in Ruhe?«
    »Soso«, erwiderte Meno schmunzelnd – färbte die Atmosphäre so auf Anne ab, daß der Kindheitsmund ausgetauscht wurde gegen den wählerischeren derer hier oben? Sie benutzten, hatte Meno beobachtet, im alltäglichen Umgang Worte, die manche Autoren selbst in ihrem Schriftlichen mieden, Kunigundenworte gewissermaßen, »hanebüchen« (»ohne h!« hätte Sperber bei Gelegenheit eines Urania-Abends geschulmeistert), wo »derb« oder »ungehobelt« nicht genau genug zu treffen schienen; sie gingen »vor den Kadi« und nicht »vor Gericht«, sie nannten ein Fensterbrett gern »Sohlbank« und einen Süßhahn »Süßhahn« (mit h).
    »Vielleicht meinen sie es nicht einmal aufdringlich, vielleicht denken sie, daß ihre Kleingärtnerfreuden für alle das Glück bedeuten müßten – und sind ganz verblüfft, daß es Menschen gibt, die das anders sehen.« Meno zog den Leiterwagen an der Warteschlange vorbei, die von der Dampfwäscherei bis zum vermorschten Grundstückszaun reichte. Schleppende Gespräche, scheele Blicke, die sich erst lösten, als Meno die Tür mit der Frakturbuchstaben-Aufschrift »Mangel« ansteuerte. Sie hatten einen Termin für 7.30 Uhr bekommen.
    »Naja, vielleicht bin ich zu anspruchsvoll Richard gegenüber. Er ist ziemlich überarbeitet, das macht mir Sorgen. Weißt du, ich hab’ mich so gefreut, wie er neulich nach diesem schrecklichen Dienst aus der Akademie kam. Robert dabei! Der hätte doch in der Schule sein müssen! Packt er den Jungen bei den Schultern, schiebt ihn lachend in die Wohnung. Ich hab’ ihn noch nie so stolz auf Robert gesehen. Auf Christian – ja. Das aber auch mehr still, er zeigt es nicht so, jedenfalls nicht mir oder den Jungen. – Wir müssen vielleicht die Wäsche noch bißchen vorbereiten. Das Plättweib ist ein Drachen. Wir dürfen nicht überziehen, sie fängt gleich an Krawall zu schlagen.«
    »Morgen, Herr Rohde!« knarrte die rostige Stimme Else Alkes vom Eingang der Wäscherei herüber. Dampf wölkte zur Tür hinaus, kleingequetschte Kofferradio-Musik. »Die Weste vomHerrn Baron hierhin«, befahl sie einem Gehilfen. »Und noch einmal die Knöpfe zählen!« Das Rot der Weste, die blinkenden Stahlknöpfe erfrischten den Blick.
    »Herr Baron wird Ihnen eine Einladung zukommen lassen«, knarrte die Alke, bevor sie mit einem hochmütigen Nicken dem Gehilfen den Arbogastschen Leiterwagen überließ.

53.
Die Wäschemangel
    Das Plättweib, eine hochbusige Schweinchenäugin mit rötlichem Haarflaum auf Fingerrücken und Oberlippe, wies barsch in die Handhabung des Apparats ein, nachdem sie in einer Kladde den Termin kontrolliert und mit einem scharfen Bleistifthaken gestrichen hatte. Weder Anne noch Meno waren zum ersten Mal hier, das Plättweib mochte sie auch wiedererkennen; aber die neuerliche Einweisung war Vorschrift, wie der aufmerksame Besucher dem ausrufezeichenhaltigen Teil der hinter Glas gehängten, mit Schreibmaschine geschriebenen Papiere neben der Tür ablesen konnte, die den Mangelraum mit der Dampfwäsche verband, in der das Plättweib als Büglerin und Verwalterin der Ersatzknopfabteilung (vorwiegend litzenumsponnene Bettwäscheknöpfe) wirkte. Der andere Teil der Papiere, unvergilbt und in Fraktur gedruckt, bot Sinnsprüche aus der Waschhistorie und war von den längst enteigneten und gen Westen verschwundenen Vorbesitzern der Dampfwaschanstalt hinterlassen worden: »Die Seife ist ein schönes Stück / Sauberkeits- und Menschenglück«; »Auf weißem Linnen / dein End’ und dein Beginnen«; »Was glättet die Falten / macht jung das Gesicht / das Bügeln und Mangeln / mit schwerem Gewicht«. Meno, gefesselt von diesen Beobachtungen, hätte am liebsten sofort darüber nachzudenken begonnen, vor allem reizte es ihn, den Wahrheitsgehalt dieser als Volksweisheiten (und damit unfehlbar) ausgegebenen Sprüche zu prüfen: auf weißem Linnen … Ulrich und er waren in einer Moskauer Klinik zur Welt gekommen, hatte es da weiße Laken gegeben? Und für die im Krieg Geborenen? Anne zeigte auf die an zwei Streben von der Decke über dem Legetisch hängendeUhr, ein achteckiges Modell mit Herzzeigern, geschweiften Ziffern auf ergrautem Blatt; Anne lächelte nicht wie sonst oft, wenn sie ihren Bruder aus seinen Abwesenheiten zurückbat (eine Berührung, ein andauernder Blick), sie wirkte nervös – Meno wußte, daß sie sich vor dem Ungetüm in diesem Raum fürchtete.

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