Der Turm
Geburtskliniken in dieser Stadt.«
»Pösitiv, pösitiv«, meinte Miss Mimi in tapfer-entschlossener Kakteenumstachelung französischer Sehnsüchte.
»Haushaltstag? Herr Rohde, Sie sind, wie ich annehme, keine verheiratete berufstätige Frau, somit steht Ihnen ein Haushaltstag nicht zu«, bedauerte Josef Redlich. »Sehen Sie, auch ich, obwohl ein runzelreicher Karrenzieher, muß Urlaub nehmen, wenn mir die Wäsche über den Kopf wächst. ›Die Täfelchen von Schokolade und Arsenik, worauf die Gesetze geschrieben sind‹, Heft D.« –
Entferntes Knirschen in der Morgendämmerung, gemischt, als Meno und Anne von der Rißin die Sonnenleite bogen, mit dem Poltern von Kohlen, die der Lehrling der Bäckerei Walther in die Schubkarre schaufelte, mit dem Brummen eines Trafohäuschens, dem Raspeln der Eiskratzer auf den Auto-Windschutzscheiben. Das Knirschen kam näher, strahlig vom Lindwurmring, der Rißleite, von der unteren Sonnenleite her; bald erkannte Meno dunkle, mühsam näher stapfende Flecke: Frauen des Viertels, die an diesem Dienstag wie Anne Haushaltstag hatten und die Wäsche auf Leiterwagen zur Dampfwaschanstalt brachten. Sie kamen näher im grauwelligen Schnee, allmählich lösten sich die hellen Flecken der Gesichter aus den dunklen der Rümpfe (die Mäntel reichten bis übers Knie, die klobigen Stiefel versanken im Harsch, dem die wenigen, weiß brennenden Laternen das Aussehen von Papier gaben; Schneeschieber und Winterdienst würden später zu arbeiten beginnen); jener breitschulterigen, vermummten, geschlechtsneutralen Rümpfe, die, wie von einem Magneten gezogen, dem imaginären Schnittpunkt ihrer Wege zustrebten (es schien die Bäckerei Walther zu sein, die ab sieben Uhr Semmeln verkaufte, schon jetzt hatte sich eine Warteschlange gebildet), sich zu einem Schattenpfeil finden würden, der auf die Waschanstalt zielte. Die Frauen nickten Grüße, sprachen noch nicht. Das Knirschen war ein akustischer Fremdkörper in der Morgenstille, Meno dachte: ein verrosteter Stab, durch ein Fell gerieben; unangenehm, als zerrte es schlechte Träume aus der Nacht in den Tag hinüber: Es war das Geräusch derLeiterwagen, in denen die Frauen ihre Wäsche transportierten, der in trockenen Lagern schmirgelnden Holzräder, die mit Eisenspangen beschlagen waren, bei manchen Wagen fehlten Viertel- und halbe Kreise dieser Kutschenrad-Beschläge, oder es hatten sich die ungeschlachten Vierkantnägel aus den Reifen gelockert, wodurch die Wagen bockten und holperten; es war das Quietschen der Deichsel im Deichselarm, das Knurren der Rungen über den Vorder-, das Geklopf der Lissen über den Hinterrädern; ein Geräuschgemisch, treibholzgrau: so auch die Farbe der von Regen und Sonne ausgelaugten Wagen.
»Und ich weiß eben nicht, ob Richard Stahl trauen kann«, fuhr Anne fort. »Sie verbringen ganze Wochenenden dort draußen in Lohmen. Er sagt Gerhart, der sagt Richard. Ich frage ja nicht für mich, und Robert bleibt auch oft übers Wochenende im Internat … trotzdem könnten wir wieder mal was gemeinsam unternehmen.«
»Durch die Sächsische Schweiz, so wie früher«, sagte Meno, »Enöff tischt Klatschgeschichten auf, ärgert sich, daß sie keine Pilze findet, hat die falschen Schuhe an, weil sie dachte, wir gehen zum Tanzvergnügen, und Helmut schlittert heiter in eine Felsspalte? Und Enöff sagt, wenn wir ihn rausgehievt haben: ›Aber wir sind keine Piepse, aber keine Piepse sinn’ wer’ nich?‹«
»Plätze in der falschen Gaststätte bestellt, Niklas schmettert Opernarien, Gudrun redet über Bachblütentherapie, Umkehr nach Schandau …«
»… wo wir alle bei Lene einkehren«, vollendete Meno den Satz in Annes Lachen hinein. »Die gute alte Schmidken. – Warst du mal wieder draußen?«
»Uli wollte fahren. Aber jetzt, so kurz vor Weihnachten, sitzt ihnen die Plankommission im Nacken. – Ihren Oldtimer zeigen sie ja niemandem. Du bist doch Stahls Nachbar.«
»Ich glaube nicht, daß er in die Grauleite gehört«, antwortete Meno. »Aber was heißt schon ›glauben‹ und ›ich kann mir nicht vorstellen‹. Jedenfalls haben die Stahls Schwierigkeiten mit den Neuen.« Die »Neuen«: Honichs wohnten nun schon fast ein Jahr im Tausendaugenhaus; aber so war es hier oben: kaum Zu- und Wegzug, viele Bewohner lebten seit dreißig, vierzig Jahren in den Häusern mit den seltsamen Namen, da konnte leicht jemand»der Neue« sein, der es erst auf ein stilles, kaum zum Akklimatisieren genügendes Jahrzehnt gebracht
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