Der Turm
Umgang habe! Babett Honich war ganz Feuer und Flamme. Sie habe es gleich gewußt, daß der Herr Rohde aus feinerem Holz geschnitzt sei, sie meine, wer heiße schon Meno, da sei »so was Gewisses« um ihn (»aber daß Sie ausgerechnet über Spinnen schreiben, mein Gott, pfui Teufel!«); und ob er nicht den Herrn Londoner zum Tee hierher einladen könne? – Herr Rohde müsse jetzt gehen, er habe es eilig, und soweit sie wisse, trinke der Jochen gar keinen Tee.
Noch auf der Turmstraße, als er den Vorübermarsch einer Kompanie Weihnachtsmänner abwartete (die Grauleite hatte Sonderschichten für die Kinder Ostroms übernommen), freute sich Meno über Libussas Geistesgegenwart und das lässig-kecke, »der Jochen«, das Babett Honich zum abrupten Verstummen gebracht hatte. Der Posten im Wachhäuschen kontrollierte Papiere und Einladung gründlich.
»Zweck des Besuchs?« Aus dem Oberleutnant war inzwischen ein Hauptmann geworden. Er wartete, die Finger auf der Schreibmaschinentastatur, auf Menos Antwort.
»Verbringung des Chanukka-Fests bei Genossen Jochen Londoner.« Meno wußte selbst nicht, warum ihn plötzlich der Hafer stach. Chanukka-Fest! Damit würde der Diensthabende, der sicherlich auch Frau und Kinder hatte und, statt Weihnachten bei ihnen zu sein, hier Wache schieben mußte, wahrscheinlich nichts anzufangen wissen.
»Schanugga? Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?« Der Genosse war sofort gereizt. »Das haben wir gleich.« Er griff zum beigefarbenen Telefon. Das Breshnew-Porträt war aus dem Wachstübchen entfernt worden, man hatte es nicht durch eines von Gorbatschow, sondern durch ein sauertöpfisches Schwarzweiß-Konterfei des Sicherheitsministers ersetzt. »Aha.« Der Hauptmann blieb skeptisch. »Vollschein? Das ist für Besucher neuerdings verboten, Genossin Londoner. – Weiß nicht, warum. Anordnung von ganz oben. – Wenn er einen Halbschein bekommt, müßte er sich morgen früh am Oberen Plan melden,das ist korrekt, Genossin Londoner. – Nein, dürfen wir nicht. Zwei Drittelscheine, das ist das höchste, was mir gestattet ist.« Damit legte er auf, tippte, spannte einen zweiten Bogen Papier in die Maschine. »Hier quittieren.« Meno nahm Kugelschreiber und Formular vom Drehteller, und während er unterschrieb, hörte er, wie der Hauptmann »Schanugga, Schanugga« vor sich hinmurmelte. »Sachen gibt’s. Hieß das nicht Weihnachten? Ist das jetzt offiziell?«
Meno tippte an den Hut, schlug den Kragen auf und ließ den Hauptmann ohne Antwort zurück. Die Brücke sang unter Windböen, die Glühbirnen, von denen nur wenige brannten, schaukelten zwischen den Brückengeländern; Meno klemmte die Rosen ins Mantelrevers. Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg, dachte er; der tiefe Schnee auf der Brücke wirkte wie Dunst, die Spuren der Weihnachtsmänner waren schon verweht. Bei jedem Schritt versank Meno bis zu den Knien, so daß er langsam vorankam, die rechte Hand am Geländer. Das Spinnwebhaus dräute schwarz in der weißrauchigen Luft, in der über dem Taldurchstich Wirbel und Schneespindeln tanzten; vielleicht arbeitete Vogelstrom am Revolutionspanorama oder hielt im Dunkeln Zwiesprache mit den gemalten Gartenszenerien, vielleicht war er verreist, feierte Weihnachten bei seinen Kindern, von denen der Maler freilich nie gesprochen hatte. »Will nichts besagen!« preßte Meno in den angreifenden Wind. »Du himmlisches Kind!« Ein ungebärdiges, eigensinniges Kind, eine tobsüchtige Range. Manchmal hielt es still, dieses Kind, schien zu überlegen, wie es dem einsam voranstiefelnden Mann auf der Brücke beikommen könne, huschte nach vorn, bog über den Hut und fiel, um es schneestäubend von hinten zu versuchen, klirrte von links und rechts heran, um nach angeberischem Schaudergetös, rachsüchtigem Gerüttel an den Spanntrossen der Brücke in sich zusammenzufallen, als hätte seine Wut ein Fingerschnipp von da oben, aus den Lüften, kassiert: dann war, beruhigend bronchitisch, das rauhe Rauschen der Weißen Schwester zu hören. Meno beeilte sich. Zwar hatte Jochen Londoner keine Zeit genannt. War man in Ostrom bereit, Weihnachten als offensichtlich unausrottbares christliches Relikt zu dulden, bis es in der Epoche des Übergangs vom Sozialismus zum Kommunismus keinen Platz mehr dafürgeben würde, war man bereit zu schweigen, dem Komment mit Tannenbaum und Fensterdekoration Genüge zu tun, im übrigen die Füße auszustrecken und nach der Bescherung für Frau und Kinder in Familie das Fernsehprogramm
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