Der Turm
dem Trinken betupft, und Richard war von der üppigen Klarheit dieser Wohnung, dem Willen zur Durchsichtigkeit verwirrt gewesen, darüber, daß Müller nun so etwas wie ein Stellvertreter der beiden Blaschkas war, er sprach für sie, und für Richard paßte es nicht zusammen: die cholerische Regentschaft Müllers in der Klinik, der verachtungsvoll rabiate Schnitt, mit dem er die Bauchdecken seiner Patienten öffnete, das schweigende, energische Vordringen in die Tiefe, an allem interesselos vorbei, was keine Rolle spielte – und diese Glas-Anemonen, Süßwasserpolypen, Kakteen mit Katzenzungen-Blüten, Schwertlilien in Tänzerinnenposen; Präparate aus gehärteter, gehörloser Zärtlichkeit im biegsam-aerosolleichten Fluid, das aus den Bleikristallüstern und Wandkandelabern wie aus Zerstäubern sprühte, und Müller, erinnerte sich Richard, wandte sich verlegen, vielleicht auch furchtsam ab bei Komplimenten, augenbrauenhebenden Schätzungen des Werts dieser kristallenen Druse, als wäre seine Selbstsicherheit in der Klinik nur eine zur Schau gestellte gewesen, als wären Durchsetzungsvermögen und Entscheidungskraft bezweifelbar, wenn der, der sie hatte oder zu haben beanspruchte, in einer Wohnung aus Wasserlicht, sprossender Stille und Glasblumen lebte, und vielleicht hatte Müller es bereut, die Kollegen eingeladen zu haben, hatte es insgeheim bedauert, dem Brauch, einen Ausstand zu geben, nicht in der Klinik Genüge getan zu haben – oder überwogen Eitelkeit und Prahlbedürfnis die Vorsicht; dieses Jetzt-darf-ich-ich-sein,meine Damen und Herren, dies Bitte schön, da habt ihr mich, wie ich im aktiven Dienst nie wollte, daß ihr mich kennt, aber jetzt ist alles anders, jetzt bin ich pensioniert und euch entronnen, jetzt kann ich machen, was ich will, sogar straflos angeben, und aus Erleichterungsfreude darüber lade ich euch ein, mir bei eurer kleinen, angenehmen Niederlage Gesellschaft zu leisten?,
als Richard sich auf den Weg machte und sie im SMH-Barkas zur Schlehenleite am Elbhang oberhalb des Blauen Wunders rasten, hatte er Assistenzarzt Grefes Worte im Ohr, der im wehenden weißen, schon etwas zerzausten Habit des Diensthabenden aus einem der Patientenzimmer der Notaufnahme gekommen war, noch Gipsreste an Unterarmen und Handrücken: »Die Chirurgenkrankheit, Herr Oberarzt, Rente – und aus?«,
»Kommen Sie«,
aber die Stimme hatte ruhig geklungen, beherrscht, nicht gepreßt und für den Notarzt um Fassung bemüht, wie es in den Diensten sonst oft vorkam,
Richard erinnerte sich an die lange Tafel mit dem Professor zu Häupten, der nun ein Emeritus war, seine einladenden, entspannten Gesten, und wie Trautson mit der Gabel gegen ein Glas schlug, um Ruhe bittend für eine Rede, unter dem einzigen Gemälde in der Wohnung, der Darstellung eines Brots,
»Ich weiß nicht, Herr Grefe, Ihre Tante hat nichts als ›Kommen Sie‹ gesagt, kann Sie jemand hier ablösen?« Aber Herr Grefe wurde schon zum nächsten dringlichen Fall gerufen,
Richard erinnerte sich in den Drehzahl-Stenokardien des Motors, im Keuchhustengetucker, wenn der Fahrer im Anstieg schaltete und Zwischengas gab, an dieses in Öl gemalte Brot an der Wand über dem Kopfende der Tafel, ein Brot, groß und knarrend (so präsent wirkte es) wie ein Kutschenrad, lässig bestaubt mit verschwenderischen Überschüssen von Mehl, das sich neben dem Brot, auf der Ofenschosse, in teils absolutistisch spitzen Kegeln, teils zerwühlten Massen häufte, als hätte der Maler (seltsamerweise dachte man nicht an den Bäcker) mit Fäusten hineingegriffen; ein Brot mit seesternförmig aufgeplatzter Kruste, und aus den Rissen quoll der weiche, nahrhaft dampfende Teig, der dem braunen (chitinbraunen, eichelbraunen,kontrabaßbraunen, baumstammbraunen, steinbraunen) Knust stotternde Umrisse verlieh, Grate auszackte, hier eine Platte hob, die beim Zubeißen splittern würde, da einen Tumor aus Ranft und dünnetzig von Krume umzogenen Poren wölbte, der an die Auftreibungen an knorrigen Buchen erinnerte,
»Brot, Herr Hoffmann. Nichts als Brot, immer nur Brot hat der Mann gemalt. Es war gewissermaßen seine Spezialität, und auch, wenn es etwas Komisches hat, stur ein einziges Sujet zu malen, so hat er es doch darin zur Meisterschaft gebracht, wie Sie zugeben werden. Der König der Brote«,
»Doch ein König immerhin«, unterbrach Dreyssiger mokant, »Dieser König ist wahrhaft mächtig, Sie kennen den Krieg nicht, junger Mann«,
erinnerte sich Richard, bevor Niklas
Weitere Kostenlose Bücher