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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Christian trottete, in die Seite, »hat schon was auf ’m Kerbholz. Hat auch die große Klappe, aber nischt dahinter. Guter Fahrer, um den is’ schade.«
    »Na, so«, sagte der Oberleutnant in den schrillen Pfiff der Schwarzen Mathilde. Der Hof war von einem Stacheldrahtzaun umgeben. Auf einer der Betonplatten lag eine Blüte. Christian bückte sich, bekam sie zu fassen: eine der Apfelblüten vom Elbhang drüben, aus den italienisch anmutenden Gärten. Er bekam einen Stoß, krümmte sich, nach Luft schnappend, nach vorn. »Noch mal, und es hat Konsequenzen«, sagte der Oberleutnant. Flure, katakombisch. Christian roch: abgestandene Luft, er sah nirgendwo ein Fenster. Stiefelschritte hallten. Metallklirren, scharfe Kommandos, rhythmische Stockschläge an Gitter, Anrufe über größere Entfernungen, Signale? regelmäßig – als ob einzelne Transporte einander aus dem Weg gehen wollten. Die Flure waren in der unteren Hälfte schwarz, in der oberen gelb lackiert. In regelmäßigen Abständen gab es Knöpfe an den Wänden. Die Decke bestand aus Kreuzgewölben, aus den Schnittpunkten der Bögen hingen nackte Glühbirnen.
    »Halt.« Eine Stahltür mit einer Nummer.
    »Der Genosse Major ist gerade zum Mittagessen«, sagte die Sekretärin.
    »Dann findet jetzt auch das Einnehmen Ihrer Mahlzeiten statt«, beschied der Oberleutnant Christian und Pfannkuchen. »Verpflegungsbeutel – öffnen!« Sie hatten die Verpflegungsbeutel vor dem Transport bekommen, der Wachtposten hatte ihnen zugeraunt: »Eßt alles auf, Haftrichter kann lange dauern.«
    Noch während sie aßen (im Stehen), trat ein Major aus der Tür. Der Militärrichter, nicht der Haftrichter.
    »Achtung!« brüllte der Oberleutnant. Christian und Pfannkuchen wußten mit dem Essen nicht wohin, als sie versuchten, Haltung anzunehmen. Der Militärrichter nahm es jovial. Er verlas ihre Namen. Danach hießen sie die Beschuldigten . »Die Beschuldigten sind verdächtig, Straftaten nach Paragraph Zweihundertzwanzig Strafgesetzbuch begangen zu haben.« Er verlas den Wortlaut des Gesetzes. »Von den Untersuchungsorganen wurde nach eingehender Prüfung der Sachlage ein Haftbefehl ausgesprochen. Der Haftbefehl wird begründet mit Fluchtgefahr.«
    Da mußte Christian lachen: Fluchtgefahr. Er trug die Uniform der Nationalen Volksarmee. Ja, wenn er hätte fliegen können. Da flog er schon, sah einen Gummiknüppel erhoben.
    »Genosse Oberleutnant«, sagte der Militärrichter, »ich darf um korrektes Verhalten gegenüber den Beschuldigten bitten.«
    Der Haftrichter kam schlendernd vom Mittagessen, unterhielt sich mit zwei Kollegen über Gartenbau, Probleme bei der Kürbiszucht. Er nickte ins Zimmer, ohne jemanden anzusehen. Christian hatte hinter einer Holzschranke stehenzubleiben, sah auf angegraute Gardinen, einen Behörden-Standardschreibtisch, Aktenschränke. Statt des Lächel-Porträts des Genossen Generalsekretärs hing das grimmige des Vorsitzenden des Ministerrats an der Wand über dem Stuhl des Haftrichters, daneben eine Urkunde »Vorbildliches Kampfkollektiv im sozialistischen Wettbewerb«. Ein Gummibaum-Senker stand auf dem Fensterbrett, daneben ein kupfernes Gießkännchen. Der Haftrichter hörte Christians Gestammel um Entschuldigung, um Soll nicht wieder vorkommen, Das habe ich nicht so gesagt, Das habe ich nicht so gemeint, ruhig an.
    »Sie haben das Recht zur Beschwerde. Für die Zeit der weiteren Ermittlungen wird Untersuchungshaft angeordnet.«

    Militärstaatsanwalt . Treppen, Flure, nackte Glühbirnen. Dieser Teil der Kohleninsel schien mit den Verwaltungen und Behörden nicht oder über verborgene Gänge in Verbindung zu stehen. Christian hatte bei Abgabe seines Personalausweises, am Tag, als er den Wehrdienstausweis, dies graue Dokument mit erbsbreigelben Seiten, dafür erhalten hatte, schon einmal in der Zentrale mit den Buchstabenschaltern, dann in der Rotunde mit den Skulpturen gestanden – diese Flure jedoch, durch die sie von dem Oberleutnant zielsicher geführt wurden, schienen älterer Zeit anzugehören. Die Plattenbauten oben, am Tageslicht, hatten dieses Labyrinth nicht vermuten lassen, es mußte tief in den Berg zweigen, und manchmal, wenn der Oberleutnant nach einem Postenanruf zu halten befahl, glaubte Christian, Hämmer pingen und ferne Sprenggeräusche hören zu können. Dann tickte etwas, regelmäßig, es klang wie ein langsam gestelltes Metronom, die Wände der Kellerflure schienen es von weither zuleiten. Aber waren es Keller? Er konnte sich

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